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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde
Autoren: Barbara Lutz
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Ganz bestimmt hielt er sich daran. Ob dort auch stand, dass kein weiteres Wort zulässig war? Eine kurze Erklärung, weshalb er mich befragte? Wie lange es dauern würde? War irgendwann vorgesehen, sich zu erkundigen, ob die Angeklagte aufs Klo musste? Ob sie Durst hatte? Ich hätte gerne meinen Anwalt erwähnt, aber ich hatte keinen, und der Herr hinter dem Schreibtisch wusste das.
    Ich sagte nichts, beantwortete knapp seine Fragen und schaute, synchron zu seinen Blicken, ebenfalls zum Fenster hinaus. Ein müder Versuch, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Er tippte die Angaben ein, surfte herum, hatte sichtlich Zugang zu irgendwelchen Daten über mich. Dann druckte er etwas aus und verschwand.
    Wenig später kam der gleiche Mann wieder herein, nun mit einem Dossier in der Hand.
    «Kennen Sie den Mieter in der Wohnung oberhalb Ihrer eigenen, Juri Salnikow?», fragte er mich und schaute mir unerwartet direkt in die Augen. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet.
    «Ja», antwortete ich und sah wieder zum Fenster hinaus. Es schien ihn nicht zu beirren.
    «Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?»
    «Das weiss ich nicht mehr.»
    «Wann waren Sie zum letzten Mal in seiner Wohnung?»
    «Wieso glauben Sie, dass ich überhaupt schon einmal in seiner Wohnung war?»
    «Waren Sie schon einmal in seiner Wohnung?»
    Ich gab auf. Er sollte mir doch einfach erklären, um was es eigentlich ging.
    «Weshalb fragen Sie mich das alles? Ich habe versucht, zu meinem eigenen Balkon hochzuklettern. Falls ich irgendwelche Nachbarn gestört habe, werde ich mich entschuldigen. Sie haben doch inzwischen sicher schon herausgefunden, dass ich dort wohne. Weshalb also werde ich befragt?» Es klang kläglicher, als ich wollte.
    Aber überraschenderweise ging er auf mich ein.
    «In die Wohnung von Juri Salnikow ist eingebrochen worden. Eine Nachbarin hat das bemerkt und uns gerufen. Gleichzeitig sind Sie die Fassade hochgeklettert. Sie verstehen sicher, dass wir abklären müssen, ob es einen Zusammenhang gibt.»
    Ich nahm den Beamten zum ersten Mal genauer wahr. Sein Blick auf mich war aufmerksam und angenehm nüchtern. Er war um die vierzig, etwas untersetzt, mit einem weichen Gesicht und braunen, leicht gelockten Haaren. Er wirkte nicht unklug und, genauer besehen, eigentlich sogar sympathisch. Ich war schon nicht mehr sauer, nur noch müde. Ich befürchtete den Beginn eines Stockholm-Syndroms.
    «Waren Sie in seiner Wohnung?» Während er die Frage wiederholte, stand er kurz auf und beugte sich über den Drucker, mit gezielten und sorgfältigen Bewegungen. Ein ruhiger, besonnener Mann, ergänzte ich das «sympathisch». Seine weichen Bewegungen passten nicht zu meiner Vorstellung von einem Polizisten.
    «Ich war ab und zu da. Wenn Juri Salnikow weg ist, schaue ich nach den Pflanzen. Ich darf sein Klavier benutzen. Ich weiss, wo ein Ersatzschlüssel zur Wohnung liegt. Ich müsste also gar nicht einbrechen. Und wenn schon eingebrochen worden ist, weshalb würde ich dann anschliessend noch einmal die Fassade hochklettern?»
    Seine Kopfbewegung schien fast ein Nicken zu sein. Vielleicht war ich doch nicht die Hauptverdächtigte. Vielleicht würde er mich bald einmal auf die Toilette gehen lassen. Vielleicht bekam ich sogar einen Kaffee. Ich war bereit zur Kollaboration.
    «Wo war denn Juri, als eingebrochen wurde?», erkundigte ich mich. Juri war nachts eigentlich immer zu Hause, er kam ab und zu spät heim, schlief aber selten auswärts. Der Beamte erklärte mir, der Einbruch sei um drei Uhr in der Früh geschehen. Eine Nachbarin wurde von ungewohnten Geräuschen wach und hatte im Treppenhaus nachgesehen. Sie bemerkte Juris aufgebrochene Wohnungstür und rief die Polizei, die den Einbruch feststellte. Die Täter waren bereits verschwunden, aber auch der Mieter war nicht da. Bisher hatte die Polizei Juri nicht erreicht. Als ich um fünf Uhr an der Fassade hochkletterte, fuhr die Polizeistreife zufällig zu einem zweiten Kontrollgang am Haus vorbei. Meine Wohnung liegt unter Juris Wohnung, ein Stockwerk tiefer.
    Ein Einbruch in unser Haus war seltsam. Ich hatte noch nie daran gedacht, nicht in dem Quartier, nicht in dem Haus. Bei uns gibt es nichts zu holen, weder bei mir noch bei meinen Nachbarn, von denen viele von der Sozialhilfe leben. Allerdings war es einfach, über die Fassade einzusteigen. Falls man genügend Zeit dazu hatte.
    Ich wurde noch weiter befragt und ich bekam einen Kaffee im Styroporbecher. Der Befrager hatte sich
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