Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde
Autoren: Barbara Lutz
Vom Netzwerk:
Man muss aufpassen. Und jetzt hat Alexandre Probleme.»
    Sie stand und wollte sich verabschieden.
    «Ich kenne den Toten, Juri Salnikow und ich, wir waren Freunde. Ich wusste, dass er in Leukerbad ist, und ich wollte ihn hier besuchen.»
    Die Frau stoppte und starrte mich betreten an.
    «Das tut mir leid. Mein Beileid. Das ist schlimm, dass dein Freund so gestorben ist», meinte sie. Warum es den Leuten leid tut, wenn jemand gestorben ist, habe ich noch nie verstanden, sie können ja nichts dafür. Jedenfalls in den meisten Fällen. Aber so wird kondoliert. Ich fand es vor allem komisch, dass mir überhaupt zu Juris Tod kondoliert wurde.
    Sie setzte sich noch einmal hin und erzählte, was unter den Angestellten über die Todesnacht bekannt war. Alexandre Pereira hatte den letzten Dienst gehabt. Zu seinen Aufgaben zählte es, alle Räume zu kontrollieren und abzusperren. Am Morgen nach der betreffenden Nacht war ein Kollege zum Frühdienst erschienen und hatte Alexandre Pereira in der Eingangshalle angetroffen. Pereira sagte, er habe seine Schlüssel verloren und deshalb nicht absperren können. Aus dem Grund habe er die ganze Nacht im Bad verbracht. So ein Vorfall musste zwar der Geschäftsleitung gemeldet werden, war aber nicht wirklich schlimm, vorausgesetzt, dass nichts gestohlen worden war. Etwas eigenartig war höchstens, dass Pereira es vorgezogen hatte, im Bad zu wachen statt jemanden mit Schlüssel zu organisieren.
    Der Kollege und Alexandre Pereira machten sich gemeinsam auf einen Kontrollgang. Alexandre hatte gemäss seinen Angaben den grössten Teil der Nacht bei der Haupttüre, im Eingangsbereich, verbracht. Aber es gab weitere Eingänge ins Bad, durch die jemand eingedrungen sein konnte, und auch der Haupteingang war zeitweise unbewacht gewesen. Deshalb kontrollierten die beiden alle Bereiche des Bades, einschliesslich der Nebenräume. Soweit sie es beurteilen konnten, war nichts gestohlen worden. Dann fanden sie den Toten. Und die Dampfgrotte, in der der Tote schwamm, war eigenartigerweise abgeschlossen.
    Am Tag nach der Todesnacht blieb die Anlage zu, das Personal wurde nach Hause geschickt. Kollegen erzählten, Alexandre Pereira sei noch vor Ort befragt worden, nicht nur von der Geschäftsleitung, sondern auch von der Polizei. Nun gab er zu, was er bisher unerwähnt gelassen hatte. Er hatte seine Abschlussrunde später als üblich begonnen, und zwar erst einige Zeit, nachdem die letzten Gäste und Angestellten das Bad verlassen hatten. Weil er, wie er erzählte, nach Badeschluss ungefähr eine Stunde lang von einem Besucher aufgehalten worden war. Von einem jungen Mann, den er selbst nicht kannte, und bei dem es sich nicht um den Toten handelte. Die beiden Männer hatten sich während einer Stunde in einem der Massageräume unterhalten, und sie hatten einen Tee getrunken. Als Pereira schliesslich abschliessen wollte, stellte er fest, dass er seinen Schlüsselbund nicht hatte. Er suchte ihn an allen möglichen Orten, im Bad, in den Massageräumen und in seinem persönlichen Schrank. Schliesslich hatte er resigniert und die restliche Nacht beim Eingang auf den Morgendienst gewartet. Er sagte, er habe den Verstorbenen weder tot noch lebendig gesehen noch überhaupt bemerkt, dass jemand im Bad war.
    Die Portugiesin hatte die erlaubte Mittagszeit längst überschritten und wollte nun gehen. Sie stand bereits, als ihr etwas einzufallen schien und sie sich wieder hinsetzte. Sie sah mich an.
    «Der Verstorbene, dein Freund, hat vor ein paar Tagen einen Garderobekasten gemietet. Ganz hinten gibt es ein paar Kästen für Kurgäste, die mehrere Tage bleiben. Ich kann mich daran erinnern, weil er Probleme hatte, den Schrank zu finden. Ich musste ihm helfen. Als ich heute in der Zeitung das Foto sah, habe ich gedacht, das ist dieser Mann, den kenne ich. Ich kann dir den Kasten zeigen, vielleicht willst du seine persönlichen Sachen mitnehmen. Ich weiss nicht, wer sie sonst will. Bisher hat sich niemand gemeldet.»
    Offensichtlich kam sie nicht auf die Idee, dass sich die Polizei für den Schrank interessieren könnte. Sie ging, um einen Ersatzschlüssel zu holen. Ich versprach, ihn ihr anschliessend zu bringen, denn sie musste dringend zur Arbeit.
    Die Garderoben im Kurbad sind gemischt. Ich wartete, während ich an meinen Haaren herumrubbelte, bis sich die Garderobe geleert hatte. Die Portugiesin hatte mir den Schlüssel in bester Absicht gegeben, ich aber war mir sicher, dass es sich um eine Angelegenheit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher