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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde
Autoren: Barbara Lutz
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kleinen Raum, der knietief mit Wasser gefüllt war. In der Mitte befand sich eine Erhebung aus Metall, auf der jetzt zwei Kurgäste lagen und vor sich hin schwitzten. Auf der gegenüberliegenden Seite sass ein Mann mit dem Rücken an der Wand im heissen Wasser und sah mich an. Ich schloss die Tür wieder, lehnte mich stehend gegen die Felswand und hörte zu, wie Wasser von der Decke tropfte.
    Nach einigen Minuten wurde mir die Hitze unerträglich. Was war bloss mit Juri geschehen? Was hatte er hier gemacht?
    Mir war schlecht.
    Ich duschte mich eiskalt ab und setzte mich auf eine Holzbank. Am Morgen, als ich durchfroren in meinem Kleidchen auf dem fremden Bett aufgewacht war, hatte ich gewusst, dass ich so nicht abreisen konnte. Ich musste in Erfahrung bringen, wie Juri gestorben war. Ich wollte das Bad sehen. Ich hatte vor Kälte gezittert in meinem dünnen Sommerkleid und musste mir wärmere Sachen kaufen. In einem der Touristengeschäfte hatte ich eine heruntergeschriebene erdfarbene Cordhose und eine dunkle Regenjacke erstanden. Einen Pullover aus Faserpelz und sogar einen sehr billigen Badeanzug fand ich in der Migros. Damit waren meine Geldmittel dann aber erschöpft, alles, was ich bei Esther verdient hatte. In einer klugen Anwandlung investierte ich mein restliches Geld in Proviant, in etwas Käse und Brot. Die Kasse im Kurbad umging ich, indem ich mich in der Toilette umzog. Niemand sprach mich an, als ich mich im Badeanzug durch das Drehkreuz drückte.
    Die Vorstellung von Juris Tod in der Dampfgrotte verfolgte mich. Ich legte mich in eines der grossen Aussenbecken ins lauwarme Wasser. Ein schneller Herztod hoffentlich. Was, wenn Juri noch lebend entdeckt hatte, dass er nicht rauskonnte? In der Hitze, die ich nur wenige Minuten ertragen hatte? Juri, mein kleiner Bruder, Juri, den ich, wie schon Freddie, immer irgendwie beschützen wollte. Ich suchte nach Zusammenhängen, ich suchte nach einem Grund, was war passiert, die Einbrüche und die Postkarte, was hatte Juri in Leukerbad gemacht, warum war er gestorben? Ich hatte keine Erklärung. Ich hatte keine Ahnung.
    Irgendwann merkte ich, dass mir vor Hunger schlecht war, ich hatte seit gestern Morgen nichts mehr gegessen. Ich holte den Käse und das Brot und folgte einem Schild mit dem Hinweis Picknickraum. Die beiden kühlen, gekachelten Zimmer mit langen Holztischen wurden vermutlich meistens von Schulklassen benützt. Ich fand sympathisch, dass es sie überhaupt gab. An einem der Tische sass eine weiss gekleidete Angestellte mittleren Alters und öffnete gerade einen grossen Tupperwarebehälter, der ihr Mittagessen enthielt. Mein Käse lag in Plastik eingeschweisst vor mir, daneben der Laib Brot. Ich überlegte, wie ich den Käse aus der Plastikhülle kriegen konnte. Da reichte mir die Frau vom Nebentisch unaufgefordert ihr Messer.
    «Arbeiten Sie hier?», fragte ich, als ich das Messer zurückgab.
    «Ja. Ich habe heute Morgen ganz früh begonnen, schon bevor das Bad offen war. Deshalb habe ich jetzt Hunger.»
    Zufrieden sah sie auf ihr Mittagessen. Ihr Akzent verriet die Herkunft aus einem südlichen Land. Dann blickte sie beinahe ertappt auf meinen Käse und das Brot.
    «Sie haben nur Käse und Brot?»
    Die Frau stand auf, brachte ein Glas und bot mir von ihrem Orangensaft an. Anschliessend erzählte sie mir, wie sie am Abend für ihren Mann und die Kinder vorkochte, die Kinder wärmten sich das Mittagessen dann selber. Das Gespräch über alltägliche Banalitäten tat mir gut und holte mich in die normale Welt zurück. Nur waren meine Beiträge mehr theoretisch, ich koche fast nie und schon gar nicht im Voraus. Die Frau kam aus Portugal und arbeitete seit zwei Jahren im Bad.
    Ohne mein Zutun kam das Gespräch auf den Badeunfall. Die Frau erzählte mir, was vorgefallen war, natürlich beschäftigte der Vorfall die Angestellten.
    «Sie sagen jetzt, Alexandre Pereira sei schuld. Er ist hier Bademeister, ein Kollege von mir, auch Portugiese, ich kenne ihn gut. Alexandre würde niemals mitten in der Nacht jemanden baden lassen. Er will doch seinen Job nicht verlieren, das weiss ich.»
    «Wo ist er denn jetzt?»
    Vielleicht konnte ich mit ihm sprechen.
    «Er ist in Brig oder Visp. Gestern kam Polizei zu ihm nach Hause.» Sie begann mit ein paar groben Bewegungen ihre Sachen zusammen zu räumen. «Was weiss ich, wie dieser Russe ins Bad gekommen ist. Was hatte er hier zu suchen, mitten in der Nacht. Das Bad war geschlossen, aber die Leute werden immer frecher.
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