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Runen

Runen

Titel: Runen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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wieder bedeutend leichter.
    Noch immer trat Blut aus Sextons Brust aus. Sein Taucheranzug war durch den Aufschlag völlig zerfetzt worden. Ein länglicher Anhänger, den er an einer Kette um den Hals trug, pendelte wie ein Angelköder wild im Wasserstrom hin und her.
    Melkorka löste ihren Gürtel von der Leiche und hangelte sich am Felsen entlang zum Grund der Kluft. Dort gelang es ihr viel besser, der Strömung zu widerstehen und kontrolliert zu schwimmen, indem sie sich an Unebenheiten und Lavastalagmiten vorwärts arbeitete. Sie kam langsam, aber zielsicher in die richtige Richtung voran. Genau so hatte sie einmal auf den Westmännerinseln mit ihrem Großvater zusammen eine steile Felswand hoch über dem Meer hinabklettern müssen, um dort Vogeleier zu sammeln, während ein isländischer Sturm sie umtost hatte.
    Dann wurde ein schwacher Lichtschein in der Dunkelheit der Höhle sichtbar.
    Melkorka starrte angestrengt in das trübe Wasser vor sich, bis ihr klar wurde, dass sie eben aus dem nordwestlichen Gang an der Gabelung herausgeschwommen war. Sie war jetzt wieder in der vorderen Höhle, in der Jake und Bill vor der eigentlichen Erkundung der Unterwelt von Þingvellir starke Unterwasserscheinwerfer installiert hatten. Von hier waren es nur mehr fünfzig Meter bis zu der freigegrabenen Öffnung im See.
    |378| Sie ließ los und ließ sich mit der Strömung zum Ausgang der Höhle tragen. Dort sah sie mehrere Lichter. Zwei davon bewegten sich langsam.
    War sie wirklich gerettet?

|379| FÜNFTER TEIL
ENDLICH GERECHTIGKEIT?
    Die Wahrheit ist kaum jemals rein
    und niemals einfach.
    – Oscar Wilde
    84
    Donnerstag, 19. Juli
    Guðjón saß an den Vorbereitungen eines weiteren Verhörs von Ragna Ámundadóttir, als Erna an seine Tür klopfte. Er blätterte gerade in den Berichten zur Entführung von Darri, notierte sich Fragen, die er der Künstlerin stellen wollte.
    »Die letzten Tage war Ámundi Hreinsson andauernd im Gefängnis von Litla-Hraun und hat versucht, Ragna zur Zusammenarbeit zu überreden«, sagte der Kriminalhauptkommissar, ohne eine Begrüßung voranzuschicken. »Heute Morgen hat er mich angerufen und mir berichtet, dass sie aussagen will.«
    Unter den Dokumenten auf seinem Schreibtisch befand sich eine Mappe mit Ausdrucken von Fotos der Überwachungskameras aus der Hauptstadt. Das waren die Bilder, die sie auf die heiße Spur bei der Fahndung nach dem Kleinen gebracht hatten.
    |380| Erna setzte sich vor Guðjóns Tisch und begann, die Schwarzweißbilder durchzusehen. Sie zeigten Ragna, Sigríður und die Deutsche, die sich Greta Schneider nannte, in der Fußgängerzone von Reykjavík. Sie waren von vielen anderen Passanten umgeben, die über eine der beliebten Einkaufsstraßen Laugavegur, Lækjargata, Hafnarstræti oder den Ingólfstorg flanierten.
    »Darf ich mit dabei sein?«, fragte sie.
    »Wenn du dich nicht in unsere Unterhaltung einmischst.«
    Ragna hatte seit ihrer Festnahme in Untersuchungshaft gesessen. Sie machte nicht den Eindruck, dass sie aus freiem Willen und bereitwillig zu dem Verhör erschienen war. Ihr Gesicht war voll zornigem Trotz, als sie ihnen vorgeführt wurde, und sie warf Erna feindselige Blicke zu.
    »Du hast mich am Geysir angesprungen, oder?«, fragte sie schnippisch und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
    »Ganz richtig«, antwortete Erna.
    »Und hast dir den Arm dabei gebrochen?«
    »Leider ja.«
    »Geschieht dir recht.«
    Ámundi Hreinsson, der Oberstaatsanwalt, kam in den Verhörraum und setzte sich neben seine Tochter. Er war großgewachsen und strahlte eine raumfüllende Präsenz aus. Ganz offensichtlich war er es gewöhnt, den Ton anzugeben, wo immer er sich befand.
    »Ihr habt doch wohl nicht ohne mich angefangen?«, fragte er.
    »Natürlich nicht«, beschied Guðjón.
    Er gab seinem Assistenten einen Wink, das Aufnahmegerät |381| einzuschalten. Er nannte Ort und Zeit und benannte alle Anwesenden.
    Sogleich fiel ihm der Oberstaatsanwalt ins Wort: »Ich möchte gleich zu Beginn klarstellen, dass diese Vernehmung auf Initiative meiner Mandantin zustande gekommen ist. Sie erwartet, dass ihre Bereitschaft zur Kooperation bei der Aufklärung dieser unangenehmen Angelegenheit sowie ihre Aussage positiv angerechnet werden.«
    »Du kennst die Gesetze und Bestimmungen«, entgegnete Guðjón.
    »Aber es hat doch zur Folge, dass ich viel weniger hart bestraft werde. Oder etwa nicht?«, fragte Ragna.
    »Die Polizei hat mit der Urteilsfindung nichts zu tun«, erwiderte
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