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Rune

Rune

Titel: Rune
Autoren: Brian Hodge
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gesehen hatten, doch nach dem Samstag war Sarah nicht gerade erpicht darauf, überhaupt wieder in das Wäldchen zu gehen. Nichts konnte sie von der Idee abbringen, dort einen riesigen und stinkenden Bären gesehen zu haben. Auch gut. Joshua wollte ohnehin nicht von ihnen gestört werden.
    Gestern, am Sonntag, hatte er Spuren von vermodertem Holz gefunden, schwammig und in weiche Brocken zersplittert. Heute fand er eine solide, weiße Substanz, härter als das Holz, doch auch zerbrechlich. Gebein? Er wußte es nicht. Doch da waren auch kleine Stücke, die wirklich wie die Zähne von Menschen aussahen …
    Joshua starrte auf die Bäume im Regen. Eine nächtliche Brise ließ den Hain zittern, und die Bäume wogten sanft in dieser Umarmung.
    Ein schwacher Schrei von unten. Er wandte den Kopf und horchte.
    Vermutlich Sarah. In den letzten Nächten war der Bär aus dem Hain ins Haus gezogen. Sie schrie immer dann, wenn er sich in ihrem Schrank oder einer Ecke versteckte – ein Ungeheuer, das nur ein Kind sehen konnte. Und doch hatte sich das nicht wie einer ihrer Bärenschreie angehört.
    Etwas anderes fiel ihm auf. Wenn Sarahs Bär seinen nächtlichen Besuch abgestattet hatte, folgte dem Weinen bald der beruhigende Klang von Doris’ Stimme, die das Tier fortscheuchte und das Kind in den Schlaf sang. Nichts davon konnte er nun hören.
    Still und langsam stieg Joshua die klaustrophobische Treppe hinab, in die Diele gegenüber dem Wohnzimmer. Mit Ausnahme von Eric Sevareids Stimme im Radio war im Haus alles ruhig. Die Luft hier unten war noch warm und roch nach dem gebratenen Abendessen.
    Du hast alles weggeworfen, nicht wahr, Martin?
    »Doris?«
    Das stete Prasseln des Regens, das ferne Grollen des Donners …
    »Doris?«
    … und seine eigenen Schritte, mit einem Male unnatürlich laut in einem Haus, das sonst selten still war.
    Joshua stellte fest, daß die Tür der Mädchen geschlossen war. Merkwürdig. Sie bestanden sonst immer darauf, sie einen Spalt breit offenzulassen, so daß etwas Licht hineinfallen konnte, wenn sie einschliefen. Er machte einen Schritt auf die Tür zu, dann einen weiteren.
    Das Ding, das aus der Dunkelheit stürmte, konnte wohl kaum Doris sein. Es trug ihre Kleider, es hatte ihr Gesicht, doch einen Augenblick später sah er, daß es nicht ihre Augen hatte. Ein gefährlicher Glanz schimmerte tief in ihnen. Feuchtes, blondes Haar flog unordentlich umher, als sie etwas im Schatten schwang: Das Blatt der Feuerholzaxt biß tief in die Wand, fraß sich durch die Tapete und ließ den Verputz zu Boden rieseln. Sie zog sie mit erschreckender Leichtigkeit wieder heraus.
    Joshua taumelte zurück und war weder Herr seines Verstandes noch seiner Stimme. Er vermochte nur wild und flehentlich zu gestikulieren. Als ihr zweiter Schlag seinen Handrücken streifte und Blut floß, zog er seine Hände zurück und rannte zum nächstgelegenen Ausgang …
    … und fand sich wieder auf dem Weg hoch zur Mansarde.
    Doris stürmte ihm nach, und die Axt traf eine Stufe, eine Sekunde, nachdem sein Fuß sie verlassen hatte. Er mußte diese Augen nicht mehr sehen, doch er konnte jene Stimme nicht überhören – laut, zornig und kaum verständlich. Zornig? Rasend vor Wut. Die Stimme war noch weit schlimmer.
    Joshua warf die Tür der Mansarde hinter sich zu und schob den schwachen Riegel vor. Er schnappte mit dem falschen Versprechen von Sicherheit ein, und Joshua konnte nur ein oder zwei Atemzüge nehmen, da begann sie auf der anderen Seite auch schon mit dem Angriff. Er sah zu, wie die Klinge immer größere Stücke der Tür wegfraß, und er hörte, wie sie sich jedes Mal abschälten, wenn die Axt für einen weiteren Hieb zurückgezogen wurde.
    Er wandte sich ab und suchte nach einer Waffe. Kisten voller Müll türmten sich bis zu der niedrigen Decke und waren mit Spinnweben verziert. Da waren seltsame Möbelrelikte und Spielsachen, die entweder zerbrochen oder für welche die Mädchen zu alt waren, und auch einige von Martins Habseligkeiten, die unten zuviel Platz geraubt hätten, von denen Doris sich aber bislang nicht hatte trennen können.
    Der Kopf der Axt kam nun schon ganz durch.
    Joshua griff sich eine Kiste und schüttete kopflose Puppen und unvollständige Puzzles auf den Boden. Mit einem einzigen Schwung seines Arms schaufelte er alle Unterlagen und Aufzeichnungen von seinem Schreibtisch in die Kiste. Er verschloß sie, um den Inhalt vorm Regen zu schützen, ging zum Fenster und stieß es auf. Eine Windböe blies
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