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Rune

Rune

Titel: Rune
Autoren: Brian Hodge
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den Regen herein. Der Sturm draußen hatte seinen Höhepunkt erreicht: ein Regen, der die Haut durchweichte und Zeichen auf den Knochen hinterließ.
    Er stieg mit einem Bein aus dem Fenster und suchte mit dem Fuß nach einem Halt auf dem glatten Dach.
    Er zog sein anderes Bein nach, wich dem Fensterrahmen aus und kauerte sich aufs Dach, während Regentropfen auf seinem Gesicht und in seinen Augen wie Nadeln stachen.
    Die Tür der Mansarde barst splitternd in zwei Hälften, mit einem eigenen Donner, um ihre Ankunft zu verkünden. Doris wirbelte nach links und rechts, während ihr Gesicht sich von völliger Ausdruckslosigkeit zu einer Maske durchtriebenen Zorns verzerrte. Sie schlug mit der Axt auf den nun leeren Schreibtisch ein. Nein, nicht ganz leer … Und die Axt traf die Öllampe. Sie fiel vom Schreibtisch, verschwand auf dem Boden und erbrach sich dann in einem Feuerblitz. Doris ging im nächsten Moment in Flammen auf, und ihr Hauskleid brannte lichterloh. Ihre Schreie wurden rasend, und ihre Bewegungen glichen dem nervösen Tanz einer Marionette. Joshua wandte sich ab, war nicht mehr in der Lage, hinzusehen.
    Er kletterte zum Rand des Daches. Mit einer Hand suchte er Halt an den Schindeln, während der andere Arm die Kiste umschloß. Er stieg über den Rand. Erst ein Bein, dann das andere … dann baumelte er von der Hüfte abwärts, dann von der Brust …
    Die Regenrinne und das Abflußrohr teilten sich mit einem metallischen Knall. Er hielt sich an der Rinne fest, als diese bogenförmig zu Boden ging. Wasser aus dem Abfluß ergoß sich über seinen Kopf und seine Schultern, und nasses Laub klebte an ihm wie kalte Blutegel. Er traf auf den schlammigen Grund und rollte sich ab, während die Rinne in den Schlamm am Fundament klatschte. Joshua stand auf und lief zur Vordertür, während die Flammen die umliegenden Bäume erhellten.
    Die Haustür wurde nur selten verschlossen. Joshua stieß sie auf und ließ seine Kiste in die leere Diele fallen. Er öffnete die Tür zum Zimmer der Mädchen und hoffte entgegen dem Gefühl in seiner Magengrube, daß er sie verängstigt in einer Ecke kauernd, dafür aber lebendig vorfinden würde.
    Er blieb erstarrt im Türrahmen stehen, und mit einem Schlag schwand alle Hoffnung. Wäre da Blut gewesen, so hätte es ihn gewiß weniger überrascht.
    Doch was sie mit ihnen getan hatte, schien noch weitaus schlimmer.
    Über ihm wütete das Feuer, und er dachte, daß Doris sich dort vielleicht noch immer in Qualen wand. Er verbannte diese Vorstellung, als er merkte, wie Tränen über seine Wangen strömten. Er hatte das Gefühl gemocht, wie dieses junge Leben sich auf ihn verlassen, wie die Mädchen zu ihm aufgeblickt hatten. Und nun, da sie fort waren, verloschen wie ein Paar Zündhölzer, fragte er sich, ob er je wieder das Wagnis eingehen wollte, eine Familie zu verlieren, eine, die er vielleicht selbst gegründet hätte.
    Er glaubte, deswegen ebenso sehr zu weinen wie um die Toten. Er kam sich wie ein Egoist vor und weinte nur um so mehr.
    Joshua wankte zu seinem Wagen. Die Kiste fiel fast auseinander, und er warf sie auf den Beifahrersitz. Nur eines noch …
    Seine Füße glitten auf dem feuchten Gras und Laub fast aus, als er hinter das Haus rannte. Flammen schossen aus den Fenstern des oberen Stockwerks, und es konnte nicht lange dauern, bis das ganze Gebäude in sich zusammenbrechen würde.
    Der seltsame Stein wartete auf einer verwitterten Werkbank auf ihn. Er hielt kurz inne, bevor er ihn aufhob. Aus irgendeinem Grund war er sich sicher, daß er in ihm den Schlüssel zu allen Geschehnissen finden würde. Eher würde er die Kiste mit den Notizen zurücklassen als diesen Stein.
    Klitschnaß und stöhnend wankte er wie ein Betrunkener zurück zum Wagen. Er ließ den Stein auf den Rücksitz plumpsen, wo er naß und dunkel und triefend lag, und dann ließ er sich erschöpft aufs Auto fallen. Die Kleider klebten an seinem Leib wie eine zweite Haut, und er fror bis auf die Knochen. Selbst wenn im Haus noch etwas anderes gewesen wäre, das der Rettung würdig war, so hätte er wohl kaum noch die Kraft dazu gehabt, es zu holen.
    Joshua wischte sich den Regen aus den Augen und blickte auf das brennende Haus. Hinter ihm sahen die Bäume gleichgültig zu. Der Regen fiel zwischen ihnen, und sie flüsterten sanft miteinander in geheimer Verständigung. Außer Sichtweite rief das Loch, das sie so arglos gegraben hatten, mit einer Stimme nach ihm, die durch die Zeit geschwächt war – doch
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