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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz
Autoren: Werner Bräunig
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sagte er, was er so wußte: »Jeder sieht zu, wie er mit dem Arsch an die Wand kommt.«
    Das war das eine. Außerdem stand vor dem Bahnhof ein Trupp Kumpels, die sahen dem Plakatmaler zu, der eine endlose Holztafel bepinselte. Loose ließ sich von einem Kumpel Feuer geben und sagte etwas wie: Siehste, dafür haben sie’s, und dafür haben sie’s nicht. Und die Kumpel, die eben noch aufeinander eingeredet hatten, waren plötzlich verstummt. Starrten in die Gegend, pafften Tabakswolken in die Luft, sie standen, als würden sie dafür bezahlt, als seien sie eigens angestellt, um hier zu stehen und Löcher in die trostlose Luft dieses Bahnhofsvorplatzes zu starren. Der Maler kleckste ein kursives I an die Wand, das folgte einem kursiven T. Vermutlich verstand er nicht viel von seinem Fach, oder er nahm’s nicht so genau. Die Buchstaben fransten, torkelten über kalkige Bretter, schwarz, mit ausgelaufenen Füßen: ES LEBE DIE DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REPUBLIK! KUMPELS! HERAUS ZU NEUEN PRODUKTI… Der Maler kleckste ein kursives O.
    |31| »Möchte wissen«, sagte Loose, »ob es irgend etwas gibt, wofür man bei denen nicht noch mehr arbeiten muß. Noch mehr und noch mehr und noch mehr!« Aber niemand ging auf ihn ein. Die Kumpel starrten weiter ihre Löcher in die Luft und bliesen Rauchwolken hindurch, sie schienen taub zu sein, ganz und gar taub, oder mit sehr ernsten und schwierigen Dingen tief in sich beschäftigt. Loose horchte hinter seiner Frage her, ihm war unbehaglich. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und starrte mit zusammengekniffenen Augen Christian ins Gesicht, doch auch Christian antwortete nicht. Er hatte aber schon eine Ahnung von dem, was da so in der Luft lag.
    Dann standen sie vor der Tür der Bahnhofswirtschaft. Aus dem geöffneten Fenster drang Lärm, Gläser klirrten, Gelächter. Eine heisere Frauenstimme sang:
    »Beim erstenmal, da tut’s noch weh, da glaubt man noch, daß man es nie verwinden kann … Doch mit der Zeit so pöh a pöh gewöhnt man sich daran.«
    Als sie eintraten, schlug ihnen der Tabaksqualm entgegen. Überall saßen Kumpel in Gummimonturen, ein paar Eisenbahner, grelle Mädchen; niemand beachtete sie. Sie setzten sich an einen freien Tisch, dicht bei der Theke. Aus dem Aschenbecher fiel Zigarettenasche. Gegenüber verschlang ein Hilfspolizist ein Häufchen Bratkartoffeln. Christian hatte plötzlich seinen Hunger wieder, und das Blei in den Beinen, und die Watte im Kopf. Er bestellte eine Bockwurst, die kostete vier Mark, die schlang er mit drei Brötchen hinunter. Trotzdem war die Wurst ungerührt wäßrig; Gott oder die HO allein mochten wissen, woraus sie gemacht war.
    Loose hatte seine Zigaretten aufgeraucht. Er ging zum Schanktisch, suchte nach Geld. Das gläserspülende Mädchen hinter der Theke musterte ihn. Loose fand nur noch eine Handvoll zerknitterter Markscheine, aber er bestellte die teuerste Sorte. Vielleicht war es noch die Truppe draußen, aber vielleicht war es auch der abschätzende Blick des Mädchens.
    |32| An der Theke stritten sich drei unrasierte Riesenkerle über einem Würfelbecher. Sie bestellten Wodka, konnten sich nicht einigen, wer die erste Runde bezahlen sollte, sie bestellten die zweite Runde, und Loose erfuhr dabei den Namen des Mädchens mit den schiefergrauen Augen, sie hieß Ingrid. Peter Loose fühlte sich an Gitta erinnert, die hatte das gleiche fahlblonde Haar, sie trug es offen, und es war sehr glatt und sehr lang, und sie hatte das gleiche hungrige Lächeln. Nur die Hände waren anders, sie waren schmal und feingeädert und durchsichtig rot von der Kälte des Spülwassers.
    Die heisere Stimme begann wieder: »Mein erster, das war ein Matrose, der war auf der Brust tätowiert …« Die Stimme girrte, röchelte, überschlug sich. »Er trug eine meerblaue Hose, uuund: ich hab mich so schrecklich geniert …«
    Die drei mit dem Würfelbecher prosteten sich zu, und das Mädchen kam zu Loose und fragte: »Auch einen?«
    »Ja«, sagte er.
    Es war jetzt fast Mittag, und in der Kneipe sammelten sich die ersten Kumpel der Mittelschicht, um auf die Busse zu ihren Schächten zu warten. Loose starrte auf die schmalen, durchsichtigen Hände, er bemerkte das silberne Talmikettchen am Handgelenk, am Ringfinger steckte ein Ring mit einem roten Stein, aber der Fingernagel war abgebrochen. Looses Blick hakte sich an diesem Fingernagel fest, und er dachte: Sie heißt Ingrid, und das paßt nicht hierher. Es klang angenehm kühl, nach Meer und
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