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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz
Autoren: Werner Bräunig
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Lippen, sie hatte das ja gleich geahnt, der Große, Starke angelte sich die Kleine vom Büfett, Gottogott, wie die sich anstellte, ach ja: zwanzig Jahre jünger müßte man sein.
    Als Loose vor dem Mann stand und sagte: »Laß sie in Ruhe!« – da war er selbst verblüfft. Der Mann ließ tatsächlich die Arme sinken. Es war nur eine kurze, ratlose Bewegung, aber sie genügte dem Mädchen, um hinter die sichere Barriere des Schanktisches zu gelangen; sie genügte auch, um Loose begreifen zu lassen, in was er da hineingeriet.
    Und jetzt war plötzlich auch das Interesse der anderen erwacht. Die Gespräche versickerten. Einige standen auf, kamen näher, bildeten einen Halbkreis, der Kellner verschwand mit seinem Biertablett hastig im Hintergrund, das Summen des Ventilators war jetzt sehr laut, und man hörte sogar das Scheppern der Luftbleche. Loose sah, daß auch Christian und der Hilfspolizist aufgestanden waren, aber in sechs, sieben Metern Entfernung stehen blieben. Er dachte: Mist, verdammter. Er wußte, daß es keiner hier mit den dreien aufnehmen würde. Er schwitzte und fühlte den Schweiß an den Handflächen, und dann nahm er die Arme hoch. Es war nicht die erste Schlägerei, und es war auch nicht die erste, bei der er von Anfang an wußte, wer verlieren würde. Angst spürte er kaum – nur diesen Anflug von Schwäche. Aber das ging weg, sobald es losging. Jemand hatte ihm einmal gesagt, daß man immer die Augen beobachten müsse, die Fäuste auch, aber vor allem die Augen. Er hatte die Linke hochgezogen: Der erste Schlag traf ihn an der Kinnspitze, er konnte nur wenig abfangen. Er duckte sich, winkelte einen rechten Aufwärtshaken ab und drehte zurück überm Standbein, er schlug einen Geraden, der voll durchkam, er nahm den Kopf herunter, sah eine Faust vorschnellen, drückte die Ellenbogen an den Körper, drehte sich und schlug zu. Er taumelte zurück, schloß einen Augenblick die Augen und erwartete den |36| Konterschlag. In seinem Schädel dröhnte eine ungeheure Glocke, er hörte das anschwellende Rauschen, das jäh abbrach, und er dachte: Jetzt kommt es. Er zog das Kinn an den Körper und schob die Fäuste hoch. Das Gemurmel hatte sich in eine unwirkliche Ferne verloren. Er öffnete die Augen, starrte in den flackernden Nebel, er wartete noch immer, spürte ein sonderbares Staunen, der Schlag kam nicht.
    Als Loose die Fäuste herunternahm, sah er den anderen an die Theke gelehnt stehen, er stützte sich mit einer Hand auf den grünlichen Blechbeschlag und wischte mit dem Rücken der Linken eine Spur Blut aus dem Mundwinkel. Die beiden anderen standen daneben, hatten ihre Biergläser in der Hand und tranken sich zu, sie sahen unbeteiligt an Loose vorbei. Auch alle übrigen saßen wieder an ihren Tischen und murmelten aufeinander ein, irgend etwas war geschehen, und alle wußten es, auch der Kellner, der wieder eilfertig mit seinem Tablett kam; nur Loose wußte nichts. Es hatte alles nur Sekunden gedauert, er hatte nur zweimal zugeschlagen und war auch nur zweimal getroffen worden, es hätte erst richtig anfangen müssen. Er konnte sich nicht erklären, was geschehen war, und ihn schwindelte. Als er sich aber umdrehte, begriff er.
    Durch den Mittelgang kamen mit breiten Schritten drei Sowjetsoldaten, ein Offizier und zwei Mann. Sie trugen rote Binden der Militärstreife am Arm, sahen sich ruhig um, die Maschinenpistolen baumelten auf den Rücken. Das war alles, und es genügte. Die Saalschlacht fand nicht statt.
    Loose stützte sich schwer auf die Theke. Auf einmal war er schlapp: er fühlte sich wie durch einen Lokomotivkessel voll Dampf gezogen. Das Mädchen hatte ihm ein großes Bier hingestellt, er trank es aus, ohne abzusetzen. Er sah jetzt auch Christian neben sich, und dann hörte er das Mädchen sagen: »Macht schnell, ihr müßt gleich verschwinden. Sobald die Russen weg sind, geht das wieder los.«
    Sie zog ihn zur Tür hinter der Theke, die in einen dunstigen Küchenraum führte. Von hier konnte man direkt auf die |37| Straße gelangen. Auch Christian drängte jetzt. Sie sagte: »Das ist an jedem Lohntag so. Und paßt auf, daß sie euch draußen nicht erwischen. Der Lange war Fallschirmjäger, der hat hier schon mal die ganze Bude kurz und klein geschlagen. Und der andere hat immer ein Messer im Stiefel.«
    Sie hielt seine Hand und schien noch etwas sagen zu wollen, dann aber hakte sie hastig die Türkette aus. Loose griff nach ihrem Arm, er berührte leicht ihr schmales, biegsames Handgelenk
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