Ruht das Licht
weißen Geländewagens holte ich sie ein. Die Nachtluft war so kalt, dass sie mir in der Kehle brannte.
»Was?«, fauchte sie. » Was, Cole?«
Ich glaube, mir machte es noch immer zu schaffen, wie ihre Stimme geklungen hatte, als sie mit Sam sprach. »Warum tust du ihm das an?«
»Sam? Der braucht das. Sonst sagt es ihm ja keiner.« Wütend stand sie da, und nachdem ich sie dieses eine Mal auf ihrem Bett hatte weinen sehen, war es leicht zu erkennen, dass dieselben Gefühle auch jetzt an ihr nagten, nur dass sie sie nicht herausließ.
»Und wer sagt es dir?«, fragte ich.
Isabel sah mich einfach nur an. »Glaub mir, ich sage es mir schon selbst oft genug.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte ich.
Eine Sekunde lang sah es so aus, als würde sie doch anfangen zu weinen, dann aber setzte sie sich auf den Fahrersitz und schlug die Tür zu. Sie sah mich nicht an, als sie rückwärts hinaus auf die Straße fuhr. Ich stand in der Auffahrt und starrte in die Richtung, in die sie verschwunden war, die Kälte zerrte an mir, doch sie hatte nicht genug Kraft, um mich zu verwandeln.
Alles war kaputt und alles war falsch, und dass ich mich nicht verwandeln konnte, hätte mir eigentlich den Rest geben müssen. Aber auf einmal, zum ersten Mal, war es okay.
KAPITEL 46
SAM
Und wieder einmal mussten wir Abschied nehmen. Grace lag auf meinem Bett, flach auf dem Rücken, die Beine aufgestellt. Ihr T-Shirt war ein bisschen hochgerutscht und entblößte ein paar Zentimeter ihres blassen Bauchs. Die blonden Haare lagen auf einer Seite ihres Kopfes über das Kissen verteilt, sodass es aussah, als würde sie fliegen oder im Wasser treiben. Ich stand neben dem Lichtschalter und sah sie an und … sehnte mich nach ihr.
»Mach es noch nicht aus«, sagte Grace. Ihre Stimme klang seltsam fremd. »Setz dich ein bisschen zu mir, ja? Ich will noch nicht schlafen.«
Ich drehte trotzdem das Licht aus – Grace machte einen verärgerten Laut in der plötzlichen Dunkelheit – und bückte mich, um eine Weihnachtslichterkette einzuschalten, die unter die Decke getackert war. Die Lämpchen schimmerten wie Feuerschein durch die seltsamen Umrisse der Vögel, die sich langsam drehten und sanft tanzende Schatten auf Grace’ Gesicht malten. Ihre Verärgerung verwandelte sich in Überraschung.
»Das ist wie …«, begann sie, aber sie führte den Satz nicht zu Ende.
Ich ließ mich im Schneidersitz neben sie aufs Bett sinken, anstatt mich hinzulegen. »Wie was?«, fragte ich und strich ihr mit dem Handrücken über den Bauch.
»Mmmm«, machte Grace, die Augen halb geschlossen.
»Wie was?«, beharrte ich.
»Wie in einen Sternenhimmel zu schauen«, murmelte sie. »Wenn ein riesiger Vogelschwarm vorbeifliegt.«
Ich seufzte.
»Sam, ich möchte wirklich eine rote Kaffeemaschine, wenn es so was gibt«, sagte Grace.
»Ich such dir eine«, erwiderte ich und legte meine Hand flach auf ihren Bauch. Ihre Haut fühlte sich erschreckend heiß an. Isabel hatte mir aufgetragen, Grace zu fragen, wie es ihr ging, und nicht darauf zu warten, dass sie es mir von selbst sagte, denn das würde sie nicht tun, nicht bevor es zu spät war. Weil sie mir nicht wehtun wollte.
»Grace?«, fragte ich und zog die Hand weg. Ich hatte Angst.
Ihre Augen glitten von den schwebenden Vögeln über uns zu meinem Gesicht. Sie griff nach meiner Hand und drehte sie so, dass unsere Hände ineinanderlagen, ihre Fingerspitzen auf meiner Lebenslinie und meine auf ihrer. »Was ist?« Als sie das sagte, roch ihr Atem nach Kupfer und Medizin: Blut und Paracetamol.
Ich wusste, ich hätte sie fragen sollen, was da mit ihr geschah, doch ich wollte noch eine einzige Minute Frieden. Einen einzigen Moment, bevor wir uns der Wahrheit stellten. Also fragte ich sie etwas, worauf es nun keine korrekte Antwort mehr gab. Eine Frage, die einem anderen Pärchen gehörte, mit einer anderen Zukunft. »Wenn wir verheiratet sind, fahren wir dann mal ans Meer? Ich war noch nie am Meer.«
»Wenn wir verheiratet sind«, sagte sie und es klang nicht nach einer Lüge, obwohl ihre Stimme leise und traurig war, »fahren wir an jedes Meer, das es gibt. Einfach nur, um sagen zu können, dass wir da gewesen sind.«
Ich legte mich neben sie, Schulter an Schulter, unsere Hände noch immer ein verschlungener Knoten auf ihrem Bauch, und wir sahen zusammen zu dem Schwarm von glücklichen Erinnerungen auf, der über uns schwebte, gefangen in diesem Zimmer. Die Lichterkette blinkte über uns, wenn die gaukelnden
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