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Ruhig Blut!

Ruhig Blut!

Titel: Ruhig Blut!
Autoren: Terry Pratchett
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wußte na-
    türlich, daß das Jahr in der Silvesternacht begann, wenn man hoffen
    durfte, daß die schlimmste Kälte überstanden war. Doch das neue Jahr begann jetzt, mit grünen Trieben, die sich durch den letzten Schnee nach
    oben bohrten. Veränderungen bahnten sich an. Nanny spürte es in den
    Knochen.
    Ihre Freundin Oma Wetterwachs sagte immer, man dürfe Knochen
    nicht trauen, aber so etwas behauptete Oma Wetterwachs dauernd.
    Nanny Ogg schloß die Tür. In den kahlen Bäumen, die am Ende des
    Gartens wie Gerippe emporragten, plusterte sich etwas auf und zwit-
    scherte, als ein Schleier aus Dunkelheit über die Welt strich.

    In einer anderen Hütte einige Meilen entfernt wurde die Hexe Agnes
    Nitt von einer vertrauten Unschlüssigkeit geplagt, die diesmal ihren neu-
    en spitzen Hut betraf. Sie litt häufig unter solchen Konflikten mit sich
    selbst.
    Während sie ihr Haar zusammensteckte und sich kritisch im Spiegel
    betrachtete, sang Agnes ein Lied. Sie sang mehrstimmig. Natürlich nicht
    mit ihrem Spiegelbild, denn solche Heldinnen endeten früher oder später dabei, daß sie ein Duett mit Rotkehlchen und anderen Waldbewohnern
    sangen, und dann half nur noch der Flammenwerfer.
    Agnes sang mehrstimmig mit sich selbst. In letzter Zeit geschah das
    immer häufiger, wenn sie sich nicht konzentrierte. Perdita hatte eine
    recht durchdringende Stimme, aber sie bestand darauf mitzusingen.
    Manche Leute, die zu beiläufiger Gemeinheit neigen, behaupten, im
    Innern eines dicken Mädchens befänden sich ein dünnes Mädchen und
    viel Schokolade. Agnes’ dünnes Mädchen hieß Perdita.
    Manchmal fragte sie sich, wie sie den unsichtbaren Passagier aufge-
    nommen hatte. Von ihrer Mutter wußte sie: Als Kind hatte sie Mißge-
    schicke und Geheimnisvol es, wie zum Beispiel das Verschwinden einer
    Schüssel mit Sahne oder das Zerbrechen eines wertvol en Krugs, oft mit
    dem Hinweis erklärt, dafür sei »das andere Mädchen« verantwortlich.
    Inzwischen wußte sie, daß man auf solche Ausreden besser verzichtete,
    wenn man, trotz allem, etwas Hexerei im Blut hatte. Die imaginäre
    Freundin war herangewachsen, ging nicht mehr fort und erwies sich als
    Nervensäge.
    Agnes mochte Perdita nicht, hielt sie für eitel, selbstsüchtig und bos-
    haft. Perdita wiederum verabscheute es, von Agnes herumgetragen zu
    werden, die für sie ein dicker, armseliger und wil ensschwacher Klecks
    war, über den die Leute einfach hinweggehen würden, wenn er nicht so
    steil wäre.
    Agnes sagte sich, daß sie den Namen Perdita erfunden hatte, um ihn
    mit all jenen Gedanken und Wünschen zu verbinden, für die es in ihr
    keinen Platz geben sol te – ein Name für den kleinen Kommentator, der
    bei jeder Person auf der Schulter hockt und höhnisch grinst. Aber
    manchmal argwöhnte sie, daß Perdita Agnes geschaffen hatte, um etwas
    zu haben, auf das sie einschlagen konnte.
    Agnes neigte dazu, sich an die Regeln zu halten. Im Gegensatz zu Per-
    dita, die es für cool hielt, Beschränkungen keine Beachtung zu schenken.
    Agnes glaubte, daß Regeln wie »Fall nicht in diese große Grube mit den
    spitzen Pfählen« durchaus einen Sinn hatten. Perdita vertrat die Ansicht
    – um nur ein Beispiel zu nennen –, daß Tischmanieren dumm und re-
    pressiv waren. Agnes hingegen verabscheute es, von Kohlbrocken ge-
    troffen zu werden, die zuvor auf den Tellern anderer Leute gelegen hat-
    ten.
    Im Hut einer Hexe sah Perdita ein mächtiges Symbol der Autorität.
    Agnes meinte, daß ein pummeliges Mädchen keinen hohen Hut tragen
    sollte, erst recht keinen schwarzen. Damit wirkte sie, als hätte jemand
    eine nach Lakritze schmeckende Eistüte umgekehrt auf sie herabfal en
    lassen.
    Das Problem war, daß nicht nur Agnes recht hatte, sondern auch Per-
    dita. Der spitze Hut bedeutete viel in den Spitzhornbergen. Die Men-
    schen sprachen zu ihm und nicht zu der Person, die ihn trug. Wenn die
    Leute in ernsten Schwierigkeiten waren, wandten sie sich an eine Hexe.*
    Und man mußte auch Schwarz tragen. Perdita mochte schwarze Sa-
    chen. Perdita hielt Schwarz für cool. Agnes glaubte, daß sich schwarze
    Kleidung kaum für Leute mit einem gewissen Umfang eignete. Außer-
    dem war »cool« ihrer Meinung nach ein sehr dummes Wort, das nur Per-
    sonen verwendeten, deren Gehirn nicht einmal einen Löffel fül te.
    Magrat Knoblauch hatte nie schwarze Sachen getragen und wahr-
    scheinlich auch nie in ihrem Leben »cool« gesagt, es sei denn, um die
    Temperatur ihrer Umgebung zu
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