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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Autoren: Willibald Alexis
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vor Kurzem verstorbene Sohn jenes alten Erman, der auch wieder der alte Erman genannt ward, der berühmte Professor und Chemiker, schrieb in einem Briefe an eine Verwandte zur Zeit der Mobilmachung im Herbste 1850: »Ich denke jetzt oft an die Worte, die Napoleon an meinen Vater richtete:
Votre reine m'a fait une guerre de petit fille et de petit garçon.
Schon sieben Jahre später waren die Kinder der Knaben zu den Männern der Katzbach und von Leipzig erwachsen!
    Eine andere Deputation berief später der zürnende Kaiser nach Paris. Es waren Männer des Gerichts, eines hohen Tribunals, das gewagt, ein Urtheil zu fällen, welches dem Gewaltigen nicht gefiel. Sie hatten Einen, der von Paris aus verfolgt ward, freigesprochen, und Napoleon wollte ihn verurtheilt wissen. Napoleon donnerte sie an und schloß mit der Drohung, wenn der Fall wieder vorkäme:
Je vous fusillerai!
« Der Präsident des Tribunals erwiderte dem Imperator: »
Sire, vous fusillerez la loi.
« Napoleon leitete gegen ihn ein Disziplinarverfahren ein. Der Mann Rechtes, der die männliche Antwort gab, hieß Sethe .
    Ob der Fall in unsere Geschichte gehört? – Er geht über sie hinaus. Wandel ward von Paris aus verfolgt, das preußische Gericht fand aber die Beweise nicht zur Ueberzeugung geführt. Auch in Bezug auf seine Verbrechen in Berlin hatte Wandel gegen Fuchsius richtig vorausgesagt. Trotz der moralischen Ueberzeugung, welche das Gericht gewann, genügten die Beweise nicht, um gegen ihn die letzte Strafe zu diktiren. Er büßte, wie die Lupinus, für seine schweren Verbrechen nur durch eine lange Freiheitsstrafe. Beide überlebten sogar ihre Strafzeit.
    Viele von den Personen, die wir hier vorgeführt, haben auch den Tag überlebt, mit dem wir unsere Geschichte beschließen, es wäre sogar möglich, daß sie noch heute leben. Wenn sie die Theilnahme unserer Leser sich erwarben, wäre es möglich, daß wir auch von ihren ferneren Schicksalen Kunde gäben, denn es ist viel vorgegangen seit fünfzig Jahren und heut.
     
    * * *
     
    Das war der traurigste Auszug, den je Berlin gesehen. Selbst der Jubel des Volks, als die Wagen der Königin vorm Schlosse hielten, um Wäsche und das Nöthigste zu einer Reise ohne Ziel einzunehmen, war herzzerreißend für die hohe Frau. Sie hatte nicht Worte, nur Thränen. Dann die Straßen, die Tausende, die dem Wagen folgten, die zum letzten Mal die geliebte, schöne, milde, bürgerfreundliche Königin sehen wollten. Auch da schrien Viele, sie wollten ihr Gut und Blut lassen, man solle sie nur rufen. Was sollte Louise antworten! – Auf Wiedersehen, auf Wiedersehn! schluchzte es aus den Fenstern. Was konnte sie darauf antworten! Die Fenster alle aufgerissen, überall Kopf an Kopf, Tücher wehten und Tücher trockneten die Augen. Sie konnte nicht mehr hinauswehen, sie lehnte sich erschöpft zurück. Und doch fielen ihr zwei stattliche Häuser auf, da war es still, die Fenster, auch hie und da die Laden, waren geschlossen. Die Blicke ihrer Begleiter sahen mißvergnügt dahin. Die milde Fürstin sagte: »Gewiß sehr Kranke!« – »Da wohnt der Geheimrath Bovillard,« sagte die Hofdame verlegen, »er soll in der That krank sein!« Die Königin schütterte zusammen und fragte nicht mehr, auch nicht, wer in dem andern Hause wohne? Der Adjutant zu Seiten des Wagen flüsterte der Voß zu: »'S ist doch unglaublich vom Grafen St. Real. Er hat Angst, daß Napoleon es ihm übel vermerken könnte.« – »Aber ein nobler Kavalier sonst,« bemerkte die alte Gräfin. »Auch ein Kranker,« sagte sie zur Königin.
    Da war die Straße gesperrt in der Nähe des Doms. Ein Hochzeitszug kam aus der Kirche. Die Leute lachten, die Straßenjugend war sogar sehr laut; sie machten ihre Glossen zum Brautpaar. Auch die Kassenwagen hatten hier Halt machen müssen, und Walter war mit dem Geheimrath Alltag aus dem Wagen gesprungen, nicht aus Theilnahme für die Hochzeitleute, sondern weil Jeder den Augenblick nutzen wollte, um Abschied von einem Angehörigen zu nehmen. Walter presste seinen Vater an die Brust: »Ich suchte Sie vergebens in – Ihrem Hause. Aber, was bedeutet das, die Siegel waren abgenommen?« – »Freude, mein Sohn, es können ja nicht Alle trauern. Die Welt ist ein großes Kaufmannsspiel: wenn Viele verlieren, müssen doch Einige gewinnen, wo bliebe es sonst! Der Rothwein steigt, die Häfen werden gesperrt. Er ist schon gestiegen. Gestern bot man mir zehn Prozent über den Einkauf, heute zwanzig, wenn die Franzosen da
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