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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur
Autoren: Michael Theurillat
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woanders gewesen war. In einem System, von dem es hieß, dass es die Welt zum Rotieren brachte.
    Money makes the world go round .
    Es drehte sich weiter, auch ohne den Kommissar.
    Was in seiner Erinnerung hingegen blieb, war Judith. Die Gedanken an sie und die Frage, wie es ihr ging. Vielleicht besuchte er deshalb hie und da Gisela Dubach in der Klinik Rosen. Weil er glaubte, dass er Judith dort einmal antreffen würde. Bei einem Pokerspiel – oder vielmehr bei einer dieser phantasievollen Varianten, die Gisela mit ihrem Koffer stets aufs neue erfand.
    Aber so, wie es schien, war Judith nicht mehr gekommen. Gisela erinnerte sich nicht mehr an die blonde Schwester, die ihr den Koffer mit den Chips und den Karten gebracht hatte. Im Gegenteil: »Ich habe den Koffer von diesem Mann dort«, behauptete sie und zeigte auf die Skulptur im Garten. »Er hat das Geld, das wir nicht sehen dürfen. Es ist Gold.«
    Der Gedanke war frappierend. So frappierend, dass sich der Kommissar die Statue vornahm, als er nach einem Besuch bei Gisela durch den Garten zurück zu seinem Wagen ging. Er suchte den Namen des Künstlers, fand ihn aber nicht. Einzig ein Schild war im Sockel eingelassen: Eigentum des A. Landmark Trust .
    Das A. stand für Annie, das war Eschenbach klar. Jene Anne-Christine, mit der er vor über dreißig Jahren im Belvoirpark ein Herz in die Rinde eines Baums geritzt hatte. Ihr Herz und ihre Initialen.
    Eschenbach zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und schaute sich um. Als er glaubte, dass ihn niemand beobachtete, kratzte er mit dem Schlüssel über die dunkle Oberfläche. Es kam nichts zum Vorschein, nicht die geringste Spur von Gold. Und trotzdem stutzte der Kommissar. Denn der über vier Meter große Mann mit dem Koffer war nicht aus Metall, wie er vermutet hatte. Er war aus Plastik. Jedenfalls fühlte sich das Material so an.
    »Was tun Sie da?«, rief plötzlich eine Stimme.
    Eschenbach fuhr herum. Auf einer der Veranden der Villa stand ein Pfleger in weißem Kittel. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt.
    »Ich mache eine Kunstbetrachtung!«, rief Eschenbach zurück.
    »Das ist eine Leihgabe, also bitte nichts anfassen!«
    »Okay!«
    Eschenbach steckte seinen Schlüssel zurück in die Hosentasche. Hatte Gisela ihm nicht erzählt, dass man die Skulptur in mehreren Teilen gebracht hatte? Mit einem Kran, weil sie so schwer gewesen waren? Aber Plastik wog nicht viel.
    Mit diesen Gedanken im Kopf ging der Kommissar zurück zum Parkplatz.
    Am nächsten Morgen saß Eschenbach schon früh an seinem Computer. Er googelte und rechnete. Der Espresso, den ihm Rosa schon vor einer Weile hingestellt hatte, war noch immer unangetastet.
    »Was machen Sie eigentlich«, fragte seine Sekretärin etwas besorgt, als sie zum dritten Mal in sein Büro kam.
    »Die Dichte eines Körpers ist das Verhältnis seiner Masse zu seinem Volumen. Haben Sie das gewusst, Frau Mazzoleni?«
    Rosa lachte. »Testen Sie jetzt mein Schulwissen?«
    »Nehmen wir Gold«, sagte der Kommissar. »Es hat eine Dichte von 19,3 Gramm pro Kubikzentimeter.« Eschenbach sah auf einen seiner Notizzettel: »Das bedeutet, dass eine Milchtüte von einem Liter Inhalt, angenommen, sie wäre mit Gold gefüllt, 19,3 Kilogramm wiegt.«
    »Wenn Sie’s sagen.« Rosa sah auf die Tasse mit dem Espresso. »Trinken Sie ihn doch lieber mit Milch?«
    »Mit Gold«, sagte Eschenbach und nahm einen Schluck. »Und jetzt raten Sie mal, wie viel diese Tüte dann kosten würde?«
    »Mit oder ohne Verpackungsmaterial?«, fragte Rosa, um etwas Zeit zu gewinnen.
    »Karton oder Plastik … das können wir vernachlässigen. Relativ gesehen, wiegt das kaum etwas.«
    »Keine Ahnung.«
    »Eine knappe Million.«
    »Haben Sie die?«
    Der Kommissar lachte. »Ist es nicht wunderbar, wie wenig Platz man braucht, um Gold zu lagern? Hier zum Beispiel …« Er fuhr mit seinem Drehstuhl etwas zurück. »Unter meinem Schreibtisch könnten wir Gold im Wert von rund einer Milliarde lagern. Sie wöge dann ungefähr zwanzig Tonnen.«
    Rosa seufzte. »Auch Ihre Post ist heute schwer.« Sie legte den Stapel mit Briefen auf seinen Tisch. »Und darf ich Sie daran erinnern, dass wir heute Abend unser Weihnachtsessen haben? Es wäre schön, wenn Sie da ein paar nette Worte sagen würden.« Mit einem leichten Kopfschütteln und ohne weiteren Kommentar verließ sie das Büro.
    Die Sache mit dem Gold faszinierte Eschenbach.
    Es war noch keine hundert Jahre her, als das weltweite Währungssystem auf
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