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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur
Autoren: Michael Theurillat
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werden. Dort könnte man jetzt aufhören, und es gäbe nicht das geringste Problem.
    Aber wir sind in der Schweiz.
    Mag sein, dass die Leute dort etwas verschwiegener sind. Dass sie einem nicht sofort sagen werden, wer oder was sie sind. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Geschichte nicht so ­glamourös und eindrucksvoll ist wie jene der Habsburger, Römer oder Griechen. Vermutlich ist das der Grund, weshalb sie sich zurückhalten. Auch wird dort kaum je einer von sich aus erzählen, wie viel er verdient. Auch dann, wenn es sehr viel ist und er jemanden damit beeindrucken könnte. Er wird sich scheuen.
    Die Schweiz ist nicht Amerika.
    Das kleine Land ist entstanden, als sich ein paar Aufmüpfige rund um den Vierwaldstätter See gegen die mächtigen Habsburger Vögte auflehnten und mit Eid einen Bund schlossen. Weil sie frei sein wollten – und sich nicht fürchtden vor der Macht der Menschen.
    Wen wundert es?
    Werfen wir einen Blick auf die heutige Welt: Es scheint, dass dieses Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung geradezu in Mode gekommen ist. Von den ehemaligen Staaten des Ostblocks bis in die arabische Welt.
    So gesehen, war das kleine Alpenvolk recht früh dran in der Geschichte. Damals, im Jahr 1291. (Vielleicht war es auch etwas früher oder später. Die Historiker finden immer einen Grund, sich zu streiten.)
    Auf jeden Fall ist es schon eine Weile her. Zu den drei Gründerkantonen der Eidgenossenschaft kamen im Laufe der Jahrhunderte dreiundzwanzig weitere Kantone hinzu. Aber richtig groß ist das Land am Fuße des Gotthards nie geworden. Dieses kleine Stück Erde im Herzen Europas, fruchtbar und von Gebirgen geschützt – gleichzeitig Bindeglied zwischen Mitteleuropa und Italien: Es blieb bis heute ein Zwerg, umgeben von Mächtigen.
    Gut möglich, dass die Idee, sich anderen anzuschließen (oder selbst Feldzüge zu veranstalten), deshalb stets im Keim erstickte, weil man wusste, dass sich der Wunsch nach Hegemonie nur schwer mit dem Freiheitsgedanken vereinen lässt.
    Wer andere zu Knechten macht, kann leicht selbst einer werden.
    Weil man den Staaten von jeher misstraute, stand man auch jenem, den man selbst geschaffen hatte, äußerst kritisch gegenüber. Aus diesem Grund wählte man eine Demokratie, die diesem Ansinnen bis zum heutigen Tag Rechnung trägt.
    Die Verfassung, die man schuf, sollte dem Schutz der Privatsphäre seiner Bürger dienen. So entstand ein Berufsgeheimnis für Ärzte und Anwälte. Und weil die Leute nicht wollten, dass Dritte (und dazu gehört auch der Staat) ohne ihr Wissen Kenntnis über ihre finanziellen Verhältnisse hatte, wurde auch das Bankkundengeheimnis im Gesetz verankert. Jeder würde seine Einkünfte und sein Vermögen selbst deklarieren. In Freiheit und Eigenverantwortung.
    Die Obrigkeit musste ihnen vertrauen. Demokratie ist die Herrschaft des Volkes über den Staat – nicht umgekehrt.
    Und für den Fall, dass die Regierung die Steuergelder verschwenden würde, wählte man Volksvertreter ins Parlament, auf dass sie den neuen Vögten einen Riegel vorschob, wann immer es ihnen angebracht schien – sodass man sich nicht fürchten muss vor der Macht der Menschen.
    Für Kommissar Eschenbach gab es keinen Grund, sich zu fürchten.
    Wie die meisten Schweizer füllte er seine Steuererklärung mit bestem Wissen und Gewissen aus. Darin gab er auch die Million Schweizer Franken an, die er von der Banque Duprey erhalten hatte. Dass er später darauf nicht einen Centime Steuern bezahlen würde, lag daran, dass er denselben Betrag in der Rubrik »Zuwendungen« noch einmal angab.
    Der Saldo war also null.
    Den Empfänger schrieb Eschenbach ebenfalls dazu. Name, Adresse inklusive Postscheckkonto. Der Kommissar war ein ordentlicher Mensch. Er rechnete auch nicht damit, dass es in dieser Sache vom Finanzdepartement des Kantons Zürich eine Rückfrage geben würde. Denn die Person, der er das Geld zukommen ließ, war bekannt. Es gab keinen Grund, an ihrer Integrität zu zweifeln. Ganz im Gegenteil.
    Außer mit seiner Frau hatte der Kommissar mit niemandem darüber gesprochen. Warum auch? Es gibt Menschen in der Schweiz, die hätten nicht einmal das getan.
    Mitte November, nachdem die alten Büros an der Kasernen­strasse fertigsaniert waren, zog der Kommissar mit seinen Leuten vom Werdgebäude wieder zurück in seine gewohnte Umgebung. Und mit dem ersten Advent kam auch Rosa zurück. Alles war wieder wie früher. Immer häufiger vergaß Eschenbach, dass er einmal
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