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Rueckkehr nach Glenmara

Titel: Rueckkehr nach Glenmara
Autoren: Heather Barbieri Sonja Hauser
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den Bauch der Erde ein – manche verglichen ihn mit dem Grab, andere mit den Pforten der Hölle – und blieben am Ende ganz dort.
    Was davor, in Irland, gewesen war, wusste Kate nicht. Vermutlich standen irgendwo Grabsteine mit den Namen ihrer Vorfahren, vielleicht sogar einer mit der Aufschrift Tallulah »Lu« Robinson , der gleiche Name wie der ihrer Mutter, die Buchstaben vom Zahn der Zeit abgenagt. Oder, wahrscheinlicher, ein längst verrottetes Holzkreuz zwischen kleinen, mit Gestrüpp und Gras überwachsenen Hügeln, weil bestimmt kein Geld für eine richtige Beisetzung vorhanden gewesen war. Kate suchte in der Vergangenheit, wie sie gewesen sein mochte, nach Anhaltspunkten, einer Stelle, von der sie behaupten konnte: Hier fing alles an. Du gehörst dazu.
    Ihre Hand tastete nach dem goldenen Fingerhut an der Kette um ihren Hals, der einzigen greifbaren Verbindung zu ihrer Mutter, fasste jedoch ins Leere.
    Kate suchte den Weg ab, hektisch zuerst, dann langsamer, mit wachsender Resignation. Wenn der Fingerhut dort gelegen
hätte, hätte sich das Licht deutlich sichtbar in ihm gespiegelt.
    Nun war der Fingerhut also, genau wie ihre Mutter, dahin. Und kein noch so langes Suchen würde ihn zurückbringen.
     
    Als Kate die jahrhundertealte kopfsteingepflasterte Straße entlangging, spürte sie die Blicke der Leute an den Ständen auf sich. Sie kaufte sich eine Portion Fish and Chips von einem Mann, der sie auf Gälisch begrüßte, dia duit , hallo. Ein paar Wendungen kannte sie noch von ihrem irischen Tanzunterricht als Kind.
    Ihre Mutter hatte eines der Kostüme, den grünen Pullover mit dem in Goldfaden auf das Leibchen gestickten keltischen Kreuz, aufgehoben, mit dem Kate beim alljährlichen feis , dem Musikfest, Erste geworden war. Sie wusste nicht, wo das Kleidungsstück sich jetzt befand – wahrscheinlich in irgendeinem Karton. Das Leben ihrer Mutter lagerte in einem dunklen, rechteckigen Raum, einem widerhallenden Gewölbe. (Lu hatte ihre Habseligkeiten verpacken lassen, bevor sie das letzte Mal ins Krankenhaus ging, weil ihr klar war, dass sie nicht zurückkommen würde. – Um ihren Freunden und Kate später die Mühe zu ersparen.) Kate, die es nicht schaffte, die Kartons und Koffer zu öffnen und die Erinnerungen herauszulassen, hatte den Schlüssel bei Ella hinterlegt und ihr gesagt, sie würde ihr noch mitteilen, was damit zu tun sei.
    »Vorsicht, fettig. Schmeckt prima, macht aber Flecken«, warnte der Verkäufer, der den Fisch in eine Seite der Zeitung in gälischer Sprache wickelte.

    Kate biss ein Stück ab und schloss genüsslich die Augen.
    »Gut, nicht?«, fragte der Mann.
    »Wunderbar.« Sie ging weiter, betrachtete an einem Stand claddagh -Ringe und Jaspis-Armbänder und probierte sie an.
    Der Wind, der vom Meer über die Straßen von Glenmara wehte, holte Kate in die Gegenwart zurück. Am nächsten Stand, wo sie einen Blick auf Leinen und Spitze, perfekt für die Aussteuer, warf, holte sie tief Luft. Sie war so weit gereist, da würde sie jetzt keinen Nervenzusammenbruch bekommen wegen eines mit Kleeblättern bestickten Handtuchs.
    »Könnten wir Sie für unsere Spitze interessieren, Miss?«, fragte eine Stimme in singendem Tonfall, eine beruhigende Stimme, die sie vom Abgrund zurückzog.
     
    Fast hätte Kate sich bei der Frau bedankt. Eigentlich machte sie sich nicht viel aus Rüschen und Verzierungen, doch die Qualität der Arbeit und die feinen Muster überzeugten sie. Manche Stücke waren ganz geklöppelt, andere mit Häkeloder Applikationsspitze versehen: Blumen, keltische Drachen, Nymphen, Fische, Heilige, Könige und Königinnen erwachten hier zum Leben.
    »Ich heiße Bernie Cullen«, stellte sich die Frau mit dem freundlichen Gesicht und den lockigen dunklen Haaren vor. »Und das ist Aileen Flanagan.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Kate. »Haben Sie die Stücke selbst gemacht?«
    »Nein, das sind chinesische Importe, frisch vom Schiff«, zischte Aileen.
    »Aileen kann gut mit der Nadel umgehen, finden Sie nicht
auch?«, fragte Bernie und stieß ihrer Freundin mit dem Ellbogen in die Rippen. »Nein, die Sachen sind tatsächlich aus der Gegend. Wir gehören einer Art Gilde an. Die meisten von uns haben diese Kunst von unseren Müttern und Großmüttern gelernt.«
    Die Spitze hätte Kates Mutter entzückt, die Kostümschneiderin fürs Theater gewesen war und Ballkleider aus dem achtzehnten Jahrhundert, Petticoats aus den fünfziger Jahren, Seeungeheuer mit Fangarmen und
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