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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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Holzstangen Stoffmuster für Herrenanzüge hingen - grau, graumeliert, pepita, blau, dunkelblau, schwarz -, fuhr er über Land und besuchte Herrenschneider und gute Ausstattungsgeschäfte, und er starb, kurz ehe er damit endgültig pleite ging, denn solche Unternehmen gab es bald nicht mehr und sie wichen großen Kleiderfabriken. Er war still und gehemmt wie ich, und meine Mutter seufzte immer, wenn sie ihn durch die Gardine von seinen Reisen zurückkommen sah. Früher, als wir noch in der dunklen Dreizimmerwohnung in der Mittelstädter Straße gewohnt hatten, gab es ein Elternschlafzimmer, aus dem nie auch nur ein Laut drang, wenn er daheim war - sie stritten nicht, sie lachten nicht, sie redeten ganz offensichtlich nicht einmal miteinander, wenn sie allein waren.
    Gespräche mit meinem Vater gab es nur beim Essen in der Küche, an diesem Tisch, wenn es um meine Schularbeiten, die Zahnspange oder eine notwendige neue Anschaffung ging. Fuhr er dann wieder los auf seine Tour mit seinem seltsamen Musterkoffer, sah ihm meine Mutter vom Fenster aus nach, schwieg, seufzte und drehte sich dann zu mir um. »So, Kind«, sagte sie, »jetzt machen wir es uns wieder gemütlich.«
    Und das schaffte sie auch immer wieder, es gemütlich zu machen in dieser wenig schönen, lauten Wohnung an der Mittelstädter Straße, durch die Tag und Nacht der Verkehr rollte.
    Direkt vor unserer Haustür hielt die Straßenbahn der Linie 6, die vom Ostfriedhof kam und an uns vorbei hinausfuhr ins Grüne, zur Elisenhöhe. Das waren von uns aus noch acht Haltestellen, und sonntags fuhren wir manchmal zur Endstation, Mutter und ich, wenn Vater am Küchentisch saß und seine Abrechnungen machte, und dann gingen wir auf der Elisenhöhe spazieren, durch die schmalen, baumbewachsenen Straßen, vorbei an den hübschen kleinen Häusern mit den netten Vorgärten, und meine Mutter sagte: »Hier werden wir eines Tages auch wohnen, das verspreche ich dir.«
    Sie hielt ihre Versprechen immer, und tatsächlich gelang es ihr kurz nach meinem zehnten Geburtstag, eines dieser Häuschen zu mieten. Sie nähte damals viel in Heimarbeit und verdiente auch durch Klavierstunden, die sie gab, so viel zum kläglichen Gehalt meines Vaters dazu, daß wir die Miete für ein kleines Haus in der Akeleistraße zahlen konnten. Es hatte auch einen dieser gepflegten Vorgärten, auf den das große Wohnzimmerfenster -
    das Blumenfenster - hinausging. Rechts um das Haus herum führte ein Kiesweg in den hinteren Garten und zur Küchentür, deren obere Hälfte aus Glas war. Wenn die Sonne schien, konnte man durch dieses Küchenfenster durch die Küche, ein Stückchen Flur, durchs Wohnzimmer und wieder dort zum Fenster hinaus in den Vorgarten blicken.
    Wir waren sehr glücklich in unserm kleinen hellen Haus. Wir, das heißt: Mutter und ich, denn kurz nach dem Umzug war Vater auf einer seiner Reisen gestorben. Ein Herzanfall. Er hatte noch rechts an den Straßenrand fahren können und war dann über dem Steuer seines Autos zusammengesunken - ein graues Auto, grau wie er selbst, sein Leben, seine Musterstoffe. Sie hatten uns angerufen, und Mutter und ich waren in ein Krankenhaus gefahren, wo es nichts mehr zu tun gab. Kurze Zeit später schon hatte Mutter das graue Auto, seine grauen Mäntel, Anzüge und Hüte, ja sogar den Musterkoffer mit den Stoffproben verkauft. Die Hälfte des Doppelbettes verschwand aus dem Schlafzimmer, und es war, als ob es diesen Mann nie gegeben hätte. Heute denke ich oft mit einem wehen Gefühl an ihn und versuche, mich daran zu erinnern, was wohl seine letzten Worte an mich gewesen waren. Auf Wiedersehen? Mach's gut? Also dann? Ich weiß es nicht, und manchmal wünsche ich mir, ich könnte noch einmal mit ihm in der Küche sitzen, jetzt zum Beispiel, hier, bei diesem Glas Wein, und dann würde ich ihn bitten, von sich zu erzählen - vom Krieg, von seinen unerfüllten Träumen, und ob er manchmal an uns, an mich gedacht hat, bei seinen langen Fahrten über die Landstraßen.
    Nach der Beerdigung hatte Mutter die Nachbarn und Freunde nicht in ein Restaurant eingeladen, wie es üblich war, sondern alle gebeten, mit zu uns nach Hause zu kommen. Die Linie 6 fuhr ja direkt von der Endhaltestelle Ostfriedhof zur Endhaltestelle Elisenhöhe, an unserer ehemaligen Wohnung und der Wohnung der Nachbarn in der Mittelstädter Straße vorbei, man mußte einfach nur noch acht Haltestellen länger sitzen bleiben, und die Nachbarn kannten ja unser Häuschen noch nicht.
    Sie
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