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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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gute Hausfrau täte, und die also allem Anschein nach eben das nicht ist, eine normale gute Hausfrau. Immer war ja auch Mutter die Hausfrau gewesen, immer hatte sie alles geordnet, geplant, organisiert, ich war das Kind, bis zuletzt, bis zu ihrem Tod, und da war ich vierzig Jahre alt.
    »Kind«, hatte sie in einem ihrer letzten klaren Augenblicke gesagt und meine Hand gehalten, »Kind, wenn du nur zurecht kommst ohne mich! Denk immer dran, ich bin nicht wirklich weg von dir. Das sieht nur so aus. Ich bin immer da, ich sehe dich, und irgendwann wirst du mich auch sehen und wirst wissen, daß ich es bin.«
    Wenn das so einfach wäre - bis jetzt hatte ich sie nicht nur nie mehr gesehen, ich hatte nicht einmal in irgendeiner Form ihre Nähe gefühlt, in dieser Wohnung nicht, auf unseren gemeinsamen Wegen nicht, die ich nun allein ging, erst recht nicht an ihrem Grab, in dem sie unter Rosen und Lavendel lag. »Gib ein Zeichen!« hatte ich schon manchmal geflüstert, aber es gab kein Zeichen, nichts. Ich war allein, das verlassene Kind, sie, die mein ganzes Leben so sehr bestimmt, beschützt, bewacht und geregelt hatte, sie war nicht mehr da. Immer war ich schüchtern gewesen, furchtsam, von heftigen Angstphantasien heimgesucht, glücklich nur in der Welt meiner Bücher, und wenn ich daraus auftauchte -
    auch später in meinem Beruf als Bibliothekarin in der Stadtbücherei -, dann hatte Mutter immer schon alles aufgeräumt, hatte gekocht, den Tisch schön gedeckt, meine Wäsche gewaschen und gebügelt, und sie strahlte mich an und sagte:
    »Komm, Kind, leg deine Brille weg, jetzt machen wir es uns richtig gemütlich.«
    Einmal hatte ich versucht, einen Mann etwas näher kennenzulernen, der immer so viele Bücher in der Bibliothek entlieh, daß er mir schon dadurch sympathisch geworden war. Er hieß Hermann Westermann, und ich fand es nicht einfallsreich, daß seine Eltern, wenn sie schon Westermann hießen, dem Vornamen auch noch ein -mann hatten angedeihen lassen, Hermann Westermann, der doppelte Mann sozusagen. Er war alles andere als männlich. Zwar war er groß, aber sehr weich, wie knochenlos, rosafarben, und er trug Brillen mit Gläsern wie Flaschenböden so dick. Es hatte lange gebraucht, bis er auf meine freundlichen Ansprachen auch einmal entsprechend reagieren konnte, über und über errötend. Er lieh sich nur Tierbücher aus -
    Sachbücher, Kinderbücher, Romane, alles handelte von Tieren, und es schien gleichgültig zu sein, ob er das Leben der Eisbären in Alaska, eine Abhandlung über Katzen als Grabbeigaben im alten Ägypten, eine Kulturgeschichte des Weißkopfadlers oder ein lustiges Kinderbuch über ein zahmes Eichhörnchen namens Anton auslieh - alles schien ihm zu gefallen, und ich lud ihn eines Tages ein, meine tierliebe Mutter und mich zu Hause auf einen Tee zu besuchen.
    Er war tatsächlich gekommen, aber die Unterhaltung während des Tees war stockend und zögerlich verlaufen. Meine Mutter, die Kuchen gebacken hatte, wollte unbedingt, daß Hermann Westermann sich zu einer bestimmten Tierart vorrangig bekannte.
    »Sie können nicht alle Kreaturen gleich lieben«, sagte sie, »es führt, wenn Sie mich fragen, kein Weg von der Liebe zum Zierfisch bis zur Verehrung des genügsamen Dromedars.« Er fragte sie aber nicht, blieb einsilbig und verließ uns früh. Ich war noch einmal mit ihm ins Kino gegangen, in den Film »Die Wüste lebt« von Walt Disney, aber er hatte im Dunkeln nicht nach meiner Hand gegriffen, und vielleicht war das auch besser so. Ich war, so schien mir, für die Männer nicht gemacht. Schon in der Tanzstunde hatte mich nie jemand recht beachten wollen, aber wenn ich ein wenig deswegen weinte, hatte Mutter mich getröstet und gesagt: »Kind, die Männer sind es alle nicht wert.« Im Laufe der Jahre hatte ich mich an mein männerloses Leben mit Mutter gewöhnt.
    Der Elektriker nannte mir einen Preis, der niedriger war als die Kosten für die Anfahrt. Ich rundete großzügig auf, und er sah mich ein letztes Mal besorgt an, ob denn auch alles in Ordnung wäre mit mir, und dann ging er. Ich setzte mich an den Küchentisch und schenkte mir ein Glas Wein ein, am hellen Tag. Und ich dachte an meinen Vater, der schon früh gestorben war, gerade in dem Sommer, als wir in das kleine Haus am Stadtrand umgezogen waren. Ich war damals zehn Jahre alt. Mein Vater war Vertreter für Herrenstoffe gewesen. Mit einem Koffer, den man aufklappen konnte wie ein Schränkchen und in dem auf kleinen
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