Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
Blumenfensters auf dem falschen Perserteppich und hielten die Luft an, als Herr Hürzeler klingelte. Sie lächelte mich an, und ich war sehr glücklich, weil ich plötzlich wußte, daß Herr Hürzeler hier niemals einziehen und niemals mein neuer Papa werden würde. Er klingelte wieder. Mutter zeigte auf eine Spinne, die direkt über unseren Köpfen zwischen Fensterbank und Wand ihr Netz gespannt hatte. »Guck«, flüsterte sie, »wie kunstvoll das Netz ist!
    Du darfst Spinnen nie töten und möglichst ihre Netze nicht zerstören. Sie sind nützlich, und sie wohnt genauso gern in unserm schönen Häuschen wie wir.«
    Herr Hürzeler klingelte jetzt Sturm, indem er den Finger auf dem Klingelknopf ließ. Und meine Mutter zischte: »Der hat ja Nerven.«
    Dann war es ruhig, und wir lauschten darauf, daß seine Schritte sich entfernen würden, aber statt dessen hörten wir ihn über den Kiesweg gehen, der nach hinten in den Garten und zur Küchentür führte. Wir lagen mucksmäuschenstill.
    Und dann hörten wir Herrn Hürzelers Stimme.
    »Frau Janowiak, Frau Janowiak, ich kann Sie sehen!« rief er, und als Mutter und ich den Kopf hoben, sahen wir sein Gesicht im oberen Fenster der Küchentür. Er hielt beide Hände rechts und links neben die Augen, um die Sonne abzuschirmen und besser sehen zu können. Er starrte durch Küche, Flur und Wohnzimmer auf uns, die wir da nebeneinander unter dem Blumenfenster lagen.
    Für eine kleine Ewigkeit geschah gar nichts. Dann zog meine Mutter tief die Luft ein, stand auf, glättete ihr Kleid und ging durch Wohnzimmer, Flur und Küche zur Hintertür, um Herrn Hürzeler zu öffnen. »Kommen Sie rein«, sagte sie, mehr nicht. Er kam schweigend herein, setzte sich an den Küchentisch, sie kochte Kaffee, und ich verzog mich nach oben, nachdem ich kurz und verlegen guten Tag gesagt hatte. Zum Bäcker wurde ich diesmal nicht geschickt, es gab keine Eiterbrillen. Sie redeten, aber das Gespräch schien mir weniger lebhaft zu sein als sonst. Ich saß oben auf der Treppe und versuchte, etwas aufzuschnappen. Meine Mutter war einsilbig, wenn auch höflich. Herr Hürzeler erzählte, daß Herr Bittner wegen seiner Krampfadern im Krankenhaus läge.
    »Oh«, sagte meine Mutter, »der liebe Herr Bittner, da werde ich ihn aber in den nächsten Tagen mal besuchen.«
    Herr Hürzeler blieb nicht so lange wie sonst. Er ging, ohne sich von mir zu verabschieden, und er kam nie wieder. Sie hatten beide mit keinem Wort über den seltsamen Vorfall geredet, aber er hatte wohl verstanden und verschwand so aus unserem Leben, wie allmählich alle Nachbarn aus der Mittelstädter Straße aus unserem Leben verschwanden. Mutter hat auch Herrn Bittner nie im Krankenhaus besucht. Als wir Jahre später wieder in eine Stadtwohnung zogen, weil die Besitzer des Häuschens selbst dort einziehen wollten, habe ich Frau Bittner mal auf der Straße getroffen. Sie erzählte mir, daß Herr Hürzeler nach seiner Pensionierung zu seiner Schwester nach Wuppertal gezogen sei.
    Als meine Mutter gestorben war, blieb ich in unserer gemeinsamen Wohnung. Einmal bin ich mit der Linie 6 zur Elisenhöhe hinausgefahren und durch unsere alte Straße spaziert, am Häuschen mit dem Blumenfenster vorbei, unter dem wir damals gelegen hatten, und ich mußte an die Spinne und ihr Netz in der Ecke unter der Fensterbank denken. Als ich zurück nach Hause kam, fühlte ich mich allein und verlassen und so, als wären die besten Jahre meines Lebens längst vorbei und ich hätte damals nicht gemerkt, daß das schon die besten Jahre wären und daß danach nichts mehr kommen würde. Meine Mutter fehlte mir, und jetzt, als ich mit meinem Glas Wein am Küchentisch saß und spürte, wie mir wieder die Tränen kamen, hatte ich zum erstenmal das Gefühl, sie doch noch in der Nähe zu haben - als würde sie auf mich herabsehen, schützend, liebevoll, als würde sie ihr mütterliches Nest weiter für mich bauen und ihr feingesponnenes Netz von Sorge und Fürsorge weiter um mich weben, und ich sah zur Zimmerdecke hoch, wo die Spinne still in ihrem Netz saß. Ich mußte lächeln und sagte leise unter Tränen: »Frau Janowiak, Frau Janowiak, ich kann Sie sehen.«

Körnergefüttert
    S UPPENHÜHNER, körnergefüttert, direkt vom Bauernhof für Selbstabholer, DM 5«, stand in der Anzeige. Irgendein schon seit drei Tagen anhaltender BSE-Wahn vom guten gesunden Essen trieb mich hinaus aufs Land. Der Hof lag romantisch, hatte allerdings einen großen, asphaltierten Parkplatz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher