Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
mich nach Hause, gab mir ihre Telefonnummer, denn sie wollte unbedingt von Carolas Befinden unterrichtet werden, und ich trug mein neues Haustier behutsam hinauf in meine Wohnung. Kaum hatte ich Carola auf mein Bett gesetzt, schiß sie befreit, weißgrau und ziemlich flüssig. Mir schwante, was ich mir aufgeladen hatte. Ans Schlachten würde nicht mehr zu denken sein. Man ißt nicht ein Tier, das einen Namen hat, eine Karteikarte beim Tierarzt und schon fünfzig Mark Arztkosten verursacht hat. Und was würde ich Frau Wohlgemut sagen? Überhaupt, sagte ich mir, ich muß jetzt endlich mal aufhören, das Fleisch unschuldiger Tiere zu essen.
    Sie wird Hunger haben, dachte ich. Da ich selbst Brot backe, hatte ich Weizen- und Roggenkörner im Haus. Die setzte ich Carola vor. Sie pickte daran, fraß aber nicht, wandte sich indigniert ab, als hätte sie noch nie solche Körner gesehen. Ob der Bauer Blüm sie wirklich körnergefüttert hatte? Wenn es mir nicht gelänge, herauszubekommen, was Carola frißt, würde ich ihn anrufen und nach seinem Hühnerfutter befragen. Ich ließ Carola, die es sich jetzt auf meinem Bett bequem gemacht hatte, allein, ging zum Supermarkt, kaufte Kanarienfutter, Katzendosen, Trockenfutter, Müsliriegel und allerhand andere Leckereien. Irgend etwas davon, dachte ich, wird sie wohl mögen.
    Als ich wieder in die Wohnung kam, war Carola nicht zu sehen.
    Wo war sie? Siedend heiß fiel mir ein, daß ich die Küchenbalkontür aufgelassen hatte. Ich eilte zur Küche und sah Carola auf der Balkonbrüstung sitzen.
    »Carola!« rief ich. »Halt! Nein! Nicht!«
    Sie spannte die Flügel auf und flog.
    Ich rannte auf den Balkon und flog hinterher.
    Da wachte ich auf. Es war schon hell, die Sonne schien herein, ich hatte lange geschlafen. Hatte ich geträumt? Ja, ich hatte geträumt. Aber was? Wie immer, wenn ich ahne, daß ich geträumt habe, konnte ich nicht dahinterkommen, was ich geträumt hatte.
    Ich war wie gerädert, verwirrt, brauchte ein paar Minuten, um richtig wach zu werden. Irgendwie war ich, glaube ich, geflogen, des Fliegens tatsächlich mächtig gewesen. Der Wecker klingelte immer noch, ich machte ihn aus. Neben dem Wecker lag der Anzeigenteil der Zeitung. Ich hatte vor dem Einschlafen noch etwas angestrichen. Ich suchte meine Brille und las: Suppenhühner, körnergefüttert, direkt vom Bauernhof für Selbstabholer, DM 5.

Nurejews Hund
    A Ls DER WELTBERÜHMTE TÄNZER und spätere Choreograph Rudolf Nurejew 1993 in Paris starb, hinterließ er außer Antiquitäten einen Hund namens Oblomow. Es war, wie der natürlich nicht willkürlich gegebene Name literarisch Gebildeten unschwer verrät, ein besonders träger Hund. Auf relativ kurzen Beinen und sehr breiten Pfoten trug er einen schweren Leib in den Farben schmutzigweiß, beige und verwaschen schwarz, seine Augen tränten, seine kräftigen Krallen waren zu lang und kratzten auf Parkettboden, seine Ohren hingen trostlos neben dem melancholischen Gesicht. So elegant, geschmeidig und durchtrainiert Rudolf Nurejew selbst in späteren Jahren und noch zu Beginn seiner Krankheit war, so unelegant, übergewichtig und schwerfällig war Oblomow, der Hund. Wie sich besonders schöne und attraktive Menschen instinktiv mit unscheinbaren Freunden umgeben, damit ihr eigener Glanz nicht Schaden nimmt, so hatte sich vielleicht Rudolf Nurejew, der Weltmeister der Schwerelosigkeit, ausgerechnet diesen kurzatmigen, plumpen Hund ausgesucht, der ergeben neben ihm schlurfte, während sein Herr geradezu flog, tanzte, durchs Leben glitt.
    Oblomow verließ die Wohnung mit den kostbaren, weichen Teppichen nur ungern, dennoch begleitete er seinen Herrn natürlich überallhin, vor allem zum täglichen Training in den Ballettsaal mit den riesigen Spiegeln, dem glatten Boden und der barre. Dort lag eine weiche Decke neben dem Klavier, und wenn Monsieur Valentin spielte und Rudolf Nurejew sich an der Stange bog und drehte oder mit seinen Schülern oder dem Corps de ballet der Pariser Oper neue Tanzschritte erprobte, lag Oblomow schläfrig auf seinem Lager, schaute durch fast geschlossene Augen dem Treiben zu und seufzte ab und zu tief. Er verstand inzwischen viel vom Tanz, wenn er auch nicht recht begriff, weshalb Lebewesen sich der Tortur unterzogen, mit beiden Beinen gleichzeitig in der Luft zu sein und dabei noch die Arme graziös emporzurecken, ailes de pigeon, en avant et en arrière. Wozu das
    alles? Der Boden erbebte leicht, und Oblomow spürte den Rhythmus des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher