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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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kamen alle. Es war ein warmer Tag im Mai, man saß im Garten und es gab Kaffee und Kuchen, später Schnittchen, Bier und Schnäpse für die Männer. Die Akeleien und die Pfingstrosen blühten, auch noch der Flieder, und Frau Bittner sagte: »Wie haben Sie es doch schön hier, Frau Janowiak!« und Herr Hürzeler sagte: »Frau Janowiak, ich beneide Sie um diesen Garten.« Ich führte die Nachbarn durchs Haus, zeigte mein Zimmer, Mutters Nähzimmer, das sonnendurchflutete kleine Bad und hoffte, sie würden bald wieder alle gehen. Aber sie blieben bis in den Abend hinein, und als sie endlich mit der Linie 6 wieder abfuhren, zog meine Mutter sofort das schwarze Kostüm aus, ein Hauskleid an, räumte Teller, Tassen, Gläser zusammen und sagte: »So, Kind, das war dieses Kapitel. Jetzt machen wir beide es uns richtig gemütlich«, und dann gab es, nur für uns, Kartoffelsalat mit Würstchen.
    Herr Hürzeler hatte angekündigt, uns bald wieder zu besuchen, und tatsächlich stand er schon zwei Wochen später mit einem Strauß Freilandrosen vor der Tür. Ich machte im Garten an einem kleinen Tisch meine Schularbeiten, Mutter gab im Haus eine Klavierstunde - sie hatte in dieser Gegend der gutgestellten Häuschenbesitzer mit Kulturanspruch in kürzester Zeit sieben neue Schüler bekommen und die Preise für eine Klavierstunde mutig erhöht. Herr Hürzeler setzte sich zu mir in den Garten, und wir hörten zu, wie Renate Schlegel die Baßnoten übte, und Herr Hürzeler zeigte unter den Jasmin und sagte: »Hier muß man doch ein Gemüsebeet anlegen!« Das sagte er auch zu meiner Mutter, als Renate Schlegel endlich gegangen war und sie zu uns herauskam. Sie brachte ein Tablett mit Kaffee und Geschirr mit, und ich wurde zum Bäcker geschickt, um drei Puddingteilchen zu kaufen - Eiterbrillen, sagten wir in der Schule dazu, wenn wir in der Pause die Brezeln mit dem süßen gelben Pudding aßen, leckere Eiterbrillen.
    Herr Hürzeler trank Kaffee, aß seine Eiterbrille, rauchte dann eine übelriechende billige Zigarre und dozierte über den Garten -
    was man ausreißen, was neu pflanzen müsse, er kenne sich da aus, er würde das gern übernehmen. Meine Mutter blieb zurückhaltend, bediente ihn freundlich, ging auf die Gartenangebote aber nicht weiter ein und erzählte kleine Geschichten aus der neuen Nachbarschaft. Mir war plötzlich ungemütlich zumute, denn ich hatte das Gefühl, als wolle sich Herr Hürzeler, kaum daß mein Vater drei Wochen tot war, an meine Mutter heranmachen, hier einziehen und der neue Papa werden.
    Er war Witwer, arbeitete im Finanzamt, wohnte in der Mittelstädter Straße im besonders lauten, besonders dunklen Parterre, und ich konnte mir gut vorstellen, daß er liebend gern in das sonnige Häuschen zu uns gezogen wäre.
    Er kam nun öfter, und meine Mutter war freundlich zu ihm, obwohl ich das Gefühl hatte, daß sie jedesmal leicht seufzte, wenn sie ihn die Straße entlangkommen sah oder wenn schon wieder er es war, dem sie nach 17 Uhr, seinem Büroschluß, oder an den Wochenenden die Tür öffnen und dann stundenlang kaffeetrinkend mit ihm im Garten sitzen mußte. Immer wieder bot er sich an, ein Gemüsebeet anzulegen, immer wieder wiegelte sie freundlich ab und wich aus, aber zu mir sagte sie beim Abendessen, während sie energisch mit der Bratpfanne klapperte, in der die Bratkartoffeln brutzelten: »Womöglich kommt er dann jeden Tag zum Unkrautzupfen.« Sie lud mir mit einem gekonnten Schwung die Bratkartoffeln auf den Teller und fügte deutlich hinzu: »Das dann doch nicht.«
    Eines Tages war ich beim Bäcker an der Endhaltestelle, um ein Brot zu kaufen, und ich hatte gerade noch gesehen, wie die Linie 6
    ankam, und darin saß schon wieder Herr Hürzeler. Er war erst zwei Tage vorher bei uns gewesen. Ich rannte nach Hause und sagte zu meiner Mutter: »Der Hürzeler kommt schon wieder!« Sie dachte einen Augenblick nach, schloß rasch die Küchentür zum Garten ab und sagte mit einem Nachdruck, den ich sonst gar nicht an ihr kannte: »Nein. Diesmal nicht.«
    Wir sahen ihn schon um die Ecke biegen, und da zog meine Mutter mich neben sich auf den Fußboden, direkt unter das große Wohnzimmerfenster, legte den Finger auf die Lippen und sagte:
    »Pssst!«
    Warum wir nicht nach oben gelaufen waren, weiß ich nicht -
    vielleicht hätte die Zeit dafür nicht mehr ausgereicht, vielleicht war es ihr auch einfach nur zuviel Aufwand. Jedenfalls lagen Mutter und ich jetzt eng nebeneinander unter der Fensterbank des
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