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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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für ihn Schweinebraten. Mutter wollte immer nur einen kleinen Salat, was er mit der Bemerkung quittierte:
    »Du immer mit deinem Salat. Salat haben wir zu Hause auch.
    Leiste dir doch auch mal was, Mutter.«
    Wie sie das liebte, wenn er sie Mutter nannte!
    »Schau, die haben hier Stroganoff. Nimm doch das Stroganoff.«
    Er sagte Stroganoff, mit der Betonung auf der zweiten Silbe, was Mutter spitz und beinahe haßerfüllt korrigierte, um dann doch ihren Salat zu bestellen.
    Er wollte so gern großzügig sein, aus dem vollen schöpfen. Was ihm immer verbal gelang, Menschen für kurze Zeit in Bann zu ziehen, hätte er gern auch mit Geld demonstriert. Er konnte aber nur mit Worten freigebig sein. Sonst hatte er nichts, allenfalls seinen knöchernen Charme. Doch das war zu wenig für die Mutter.
    Das Essen kam, er schlang es achtlos in sich hinein, trank weitere Biere. Er drang an andere Tische vor, füllte die Ecke des Biergartens, imponierte, wurde belächelt oder als interessant empfunden. Er wußte zu gefallen, und er hatte ein untrügliches Gespür für sein Publikum. Willfährige Opfer bugsierte er, obwohl anderswo auch Platz gewesen wäre, an unseren Tisch, zog sie sofort in ein Gespräch, forderte sie heraus, von sich zu erzählen und lauerte auf Stichworte. Er war in seinem Element.
    Er sprach Recht, brach Tabus, dröhnte und tönte, lachte über seine eigenen Witze, wußte tausend Geschichten und zu jedem aufkeimenden Thema eine Anekdote. Er lobte die Amerikaner und die Atomkraft, warnte vor den Russen, haßte die Franzosen und die Engländer, hielt den Krieg nachträglich für gewinnbar, pries die Ziegenmilch und die Juden, hielt von deren Intelligenz viel, von der der Neger und der Frauen wenig. Ihm, so sagte er, habe es noch nie geschadet, daß seine Frau mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf durchs Leben gehe.
    Uns hatte er irgendwann völlig vergessen. Wir hätten uns unauffällig davonmachen können, er hätte es erst einmal gar nicht gemerkt.
    Mutter war längst versteinert. Mit vielsagenden Blicken hatte sie sich mit anderen, ebenfalls schweigend neben ihren trunkenen Hähnen sitzenden Frauen verständigt und solidarisiert. Sie saßen da wie Denkmäler, schauten verächtlich dem Treiben der Männer zu und dachten an die Kriegs jähre, in denen sie ohne die ausgekommen waren. Und sie träumten von der Zeit, da sich die Beschäftigung mit ihren Ehehälften auf Grabbesuche beschränken würde, da sie über ihre Zeit, ihren Körper, ihr Geld selbst verfügen konnten. Denn daß sie diese vom Krieg angeschlagenen Wracks, die sich da alkoholgetränkt verausgabten, überleben würden, daran hatte wohl keine von ihnen Zweifel. Die meisten, wie meine Mutter zum Beispiel, sollten ja recht behalten.
    Nachdem wir gegessen und Kaffee getrunken hatten, machte meine Mutter zum ersten Mal den Vorschlag, zu gehen. Das wollte der Vater gar nicht hören. Und wenn er es hörte, dann meinte er, daß doch jetzt gerade erst der gemütliche Teil des Familienausflugs angefangen habe, und sie könne ja mit den Kindern mal das Kloster und die Brauerei angucken, während er sich mit den interessanten Leuten unterhalte. Wir kannten alles, was man an Kloster und Brauerei besichtigen konnte. Also spielten wir mit anderen, ebenso nutzlos hier heraufgeschleppten Kindern, oder wir ärgerten unsere Eltern, indem wir so stark Dialekt miteinander sprachen, daß sie nichts verstanden, was eine unserer kleinen Waffen gegen sie war.
    Manchmal kam es vor, und das war für uns Kinder besonders peinlich, daß Schulkameraden mit ihren Eltern hier heraufkamen und unserem Vater in die Hände fielen. Da produzierte er sich dann besonders, denn er wollte mit aller Gewalt vor den gutsituierten Kleinstädtern den Eindruck widerlegen, wir seien rückständig, weil wir vom Dorf kämen. Da gab er den Mann von Welt, den Weitgereisten, der von Ländern erzählte, die alle anderen nie gesehen hatten. Wir wußten, daß er log, daß er alles nur gehört und zusammengelesen hatte. Wenn unser Vater an einen unserer Lehrer geriet, dann wollten wir vor Scham in den Boden versinken.
    Einmal traf es sich, daß der Chefarzt der Stadtklinik, dessen Sohn in meine Klasse ging, mit Familie bei uns am Tisch saß. Das paßte mir von vornherein nicht, weil ich den hochnäsigen, dicklichen, verwöhnten Angeber jungen überhaupt nicht leiden konnte. Vater aber wuchs über sich hinaus, verstieg sich zu der Behauptung, daß die Medizin eigentlich seine Bestimmung gewesen wäre,
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