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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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war, Gärten. Hier verlor sie sich und uns. Sie roch an allem, faßte Blätter an, zupfte welche ab, zerrieb sie zwischen den Fingern, biß in sie hinein, streichelte Rispen, hielt aufkeimende Knospen behutsam in Händen, strahlte angesichts einer seltenen großblumigen Rose, sagte andächtig die Namen, die auf Schildern standen, vor sich hin. Da verteilte sie all ihre Zärtlichkeit, die sie für uns kaum und unseren Vater überhaupt nicht aufzubringen vermochte. Sie faßte jede Blüte an, als hätte sie die Augen in den Fingerspitzen. Jahrzehnte später, anläßlich eines Klassentreffens, beobachtete ich in demselben Staudengarten Blinde, denen man die Pflanzen nahebrachte. Ich mußte an meine Mutter denken, als ich sah, wie sie sich die Schönheit einer Blüte oder eines Blattes ertasteten.
    Uns Kindern erschloß sich diese Welt nicht. Lustlos folgten wir ihr, knufften und ärgerten uns, stritten und dachten doch nur an das, was wir versäumten. Jetzt war Zeit, Fußball zu spielen, Forellen mit der Hand zu fangen und an einem Lagerfeuer zu braten, die Indianer des Unterdorfs vernichtend zu besiegen, ein Hornissennest unterm Kirchendach auszunehmen, in den unterirdischen Gängen aus dem Dreißigjährigen Krieg herumzukriechen. Statt dessen:
    Campanula carpatica, Geranium grandiflorum, Digitalis purpurea, Hosta lancifolia, Helleborus niger, Delphinium cultorum.
    Selbstverständlich hatte unser Vater, als wir in den Biergarten kamen, längst Anschluß gefunden, neue Freunde aufgetan, deren Vornamen er uns schon entgegenschleudern konnte. Und mit der Kellnerin hatte er wie immer schon so innigen Kontakt, daß das Bestellen von drei Limonaden für uns und einem Wasser für die Mutter bereits zu einem ausgedehnten Flirt geriet. Er rief sie beim Namen, nahm sie kurz um die Hüften, stellte ihr die Mutter als seine Gemahlin vor und uns als seinen gelungenen Nachwuchs und rief, als müßten es alle im Biergarten hören:
    »Und mir machst du noch ein Maß, Burgel!«
    Ich schämte mich. Ich schämte mich dafür, daß er kein Bayrisch konnte und die Mass wie Maß statt wie Faß aussprach und nicht eine Mass, sondern ein Maß sagte, ich schämte mich dafür, daß die Kellnerin ihn beim Vornamen nannte und ihre ganze aufdringliche Üppigkeit ohne Rücksicht auf meine Mutter an ihn hindrückte - wie auch an andere Männer an anderen Tischen -, ich schämte mich dafür, daß er zu laut sprach, was ein untrügliches Zeichen dafür war, daß seine gute Laune in euphorische Bereiche übergegangen war.
    Später, als er schon tot war und ich so alt wie er damals, tat er mir leid. Wir sahen auf Fotos wie Zwillinge aus, ich aber hatte alle Trümpfe des Lebens in Händen. Wie viele dieser Männer an den Biergartentischen war er zu lange im Krieg gewesen, war heimgekehrt zu einer Frau und Kindern, die auch ohne ihn klargekommen waren, in ein Bett, in dem es keine Liebe und keine Leidenschaft mehr für ihn gab, nur die stumme, regelmäßige Duldung, die wenigstens sicherstellte, daß die hungrigen Mäuler der Kinder gestopft wurden.
    Dabei gab er sich so viel Mühe. Er wollte uns ein guter Vater und seiner Frau, die am Beginn des Krieges auf sein Mundwerk hereingefallen war, alles sein. Er war ihr nichts. An ihrem stummen Vorwurf, er habe sie heruntergezogen, zwinge sie, die ganz anders großgeworden war, zu einem unwürdigen Leben auf einem Dorf, ohne auch nur die geringste finanzielle Sicherheit, geschweige denn mit Luxus, prallten alle seine oft großspurigen, aber auch rührenden Bemühungen ab.
    Er war nicht, was er behauptete, und er hatte nicht, was er ausgab. Sein immer erzwungenes Lachen über das Leben entstellte ihn. Er nutzte fast alle Chancen, aber er hatte keine, das machte ihn meist lächerlich. In Mutters Augen sowieso.
    Da saß er nun unter den Kastanien und gierte nach Gesellschaft, nach Anerkennung, nach Bewunderung. Die Großzügigkeit, die er, was seine getrunkenen und ausgegebenen Biere betraf, sich selbst gegenüber hatte, übertrug er jetzt auch auf uns. Er bestellte lauthals bei Burgel die Speisekarte und sagte dann bis zu anderen Tischen hin hörbar den Satz, den ich so haßte, weil er einerseits seine Generosität bezeugen sollte und doch andrerseits unsere wirtschaftliche Situation, die der Mutter stets Sorge bereitete, verbarg:
    »Heute machen wirs uns aber mal richtig schön, wir gucken überhaupt nicht auf die Preise!«
    Das hieß für uns statt Würstchen mit Kartoffelsalat Leberkäse mit Bratkartoffeln und
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