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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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aus Kanada nach New York gekommen.
    Sie stiegen ab im Hotel Algonquin, 59 W.44th Street. Es war ein altes Hotel mit einer wunderbaren Eingangshalle, in der dicke Teppiche lagen, tiefe Sessel und kleine Tischchen standen, Kronleuchter ein mildes Licht gaben. Man sprach gedämpft, die Menschen, die hier wohnten oder sich auf einen Drink trafen, sahen elegant aus, und die kleine Nureeni war begeistert. Sie kam aus Ontario, wo es den riesengroßen Algonquin Provincial Park gab, ein wildes, seenreiches Waldgebiet, und unter dem Hotel Algonquin hatte sie sich irgendeine Jägerhütte mitten in New York vorgestellt - und nun diese gediegene Atmosphäre! Nureeni war glücklich, zumal sie erfuhr, daß berümte Schriftstellerinnen wie Edith Wharton, Djuna Barnes, Dorothy Parker und Grace Paley hier ein und aus gegangen waren. Nureeni Fox kannte keine dieser Schriftstellerinnen, aber sie schrieb selbst mit acht Jahren bereits Gedichte und wollte unbedingt eine berühmte Schriftstellerin werden, so daß sie wußte: hier war der richtige Anfang für eine solche Karriere. Sie schrieb alles, was sie sah, hörte, erlebte und dachte, in ihr Tagebuch und stand lange in der Hotelhalle vor dem großen Wandgemälde, auf dem all die legendären Berühmtheiten der zwanziger Jahre an ihrem runden Stammtisch zu sehen waren - elegante Frauen mit roten Wangen und langen Zigarettenspitzen, in schönen Kleidern und mit eindrucksvollem Schmuck, Herren mit Zigarren und Whisky-gläsern, ja, so war das Leben, nicht so, wie es ihr Vater führte, der in New York in Sachen Aluminium von einem Geschäftstermin zum ändern eilte. Nureeni besuchte statt dessen mit ihrer Mutter die Museen, die Buchläden, die schönen Kaufhäuser auf der 5th Avenue und auch mal ein Broadway-Musical. Von der Mutter, einer Neuseeländerin, Tochter eingewanderter Holländer, hatte sie die Neigung zum Musischen geerbt. Der Vater, scherzten beide immer gern, konnte einen Kühlschrank nicht von einem Klavier unterscheiden, aber Nureeni und ihre Mutter lasen sich Gedichte vor, spielten vierhändig Klavier und konnten vor Bildern, die Blumenstil-leben zeigten, gemeinsam in Seufzer ausbrechen. Ihren seltsamen und in der Welt wohl einzigartigen Namen verdankte Nureeni diesem mütterlichen Hang zum Geheimnisvollen und Schönen: als Mrs. Fox mit ihrer ersten und einzigen Tochter schwanger war, saß sie in Neuseeland oft am Strand von Oamaru, einem kleinen Städtchen an der Mündung des Waitaki River, und sah jeden Mittwoch um dieselbe Zeit ein stolzes, weißes Schiff in den kleinen Hafen einlaufen, das den Namen Nureeni trug. Sie wußte nicht, was der Name bedeutete, aber er klang poetisch und schön, und in Oamaru war ja auch die zwar so unglückliche, aber hochbegabte Dichterin Janet Frame zur Schule gegangen - es wäre gewiß ein Zeichen, würde sie ihre Tochter, wenn es denn eine Tochter sein sollte, was sich Mrs. Fox dringend wünschte, Nureeni nennen. Es war eine Tochter, und gegen den Widerstand ihres Mannes und ihrer Schwiegereltern, die für Mary oder Joanne waren, wurde das zarte, phantasiebegabte, aber auch von Anfang an sehr energische Kind auf den Namen Nureeni getauft. Erst Jahre später erfuhr Mrs. Fox, daß das weiße Schiff ein Müllschiff der Maori war, der wenigen noch lebenden Ureinwohner Neuseelands, das einmal in der Woche in Oamaru anlegte, und Nureeni hieß in der Sprache der australischen Aborigines soviel wie das lateinische ecce, nämlich: siehe da! Siehe da, das Müllschiff kommt - und so hieß denn das kleine Mädchen Siehe da. Erst nach dem Tod der Mutter klärte ein Maori, der damalige Leiter der Glühwürmchengrotte von Te Anau, der die Dialekte der Maori und der Aborigines studiert hatte, Nureeni über ihren Namen auf, und sie dachte amüsiert: sieh mal da!
    Bei diesem ersten Besuch in New York im Hotel Algonquin lernte Nureeni Matilda kennen. Matilda war die Hotelkatze, ordinär grau gestreift und wirklich nichts Besonderes. Sie war rund und kräftig, und das einzig Ungewöhnliche an ihr war, daß sie auf dem Pult an der Rezeption lag oder im schönsten Gobelinsessel mitten in der Halle und daß alle Hotelgäste und Besucher es respektvoll vermieden, sich auf eben diesen Sessel zu setzen oder Matilda gar vom Rezeptionspult zu vertreiben. Sie hatte hier ein Anrecht, sie wohnte immer hier, und einige berühmte Dichter, so erzählte man Nureeni, hatten Matilda auch schon in ihren Geschichten verewigt. Matilda ließ sich streicheln, schnurrte aber nicht
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