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Ruchlos

Ruchlos

Titel: Ruchlos
Autoren: Beate Baum
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Großvater ermordet wurde, mit ihm zusammen war.« Plötzlich wurde sie lauter. »Ich weiß, wie Ihnen das vorkommen muss! Aber können Sie sich nicht vorstellen, dass auch eine übergewichtige, alleinerziehende Mutter mit wenig Geld und Freunden Bedürfnisse hat?« Und wieder leiser: »Aber es ist gut, dass das jetzt vorbei ist. Ich habe mich so geschämt.«
    Als ich die Haustür in der Wachsbleichstraße hinter mir zuzog, war die Sonne bereits untergegangen. Langsam schob ich mein Fahrrad auf das Hyazinthus-Gelände. Ich glaubte Michaela Kattner, und sie tat mir entsetzlich leid. Wieso machte sie sich selbst so klein? Nur, weil sie ein paar Kilo zu viel wog, fand sie sich nicht attraktiv, und weil sie für ihren Sohn sorgen musste, dachte sie, die Männer würden davonlaufen. Ich hatte versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen, es jedoch allenfalls geschafft, einen kleinen Samen in ihrem Denken zu hinterlassen.
    Ich schloss das Rad vor dem Orthopädie-Gebäude ab und betrat die Eingangshalle, noch immer in Gedanken bei der Frau, die sich aus einem seltsamen Mix an Gründen mit diesem Widerling Ronnie eingelassen hatte. Als ich mich den Aufzügen näherte, kam mir Marianne Gärtner mit vorsichtig gesetzten, kleinen Schritten entgegen. Erst, als ich sie begrüßte, erkannte sie mich.
    »Guten Tag. Ich war gerade ganz woanders … Wissen Sie, die Polizei war heute noch einmal bei mir – hier, in der Klinik – und das hat alles wieder aufgewühlt.«
    Anscheinend wurde Hantzsche nun endlich richtig aktiv, dachte ich und fragte, ob sie sich ein wenig mit mir in die Cafeteria setzen wollte.
    »Gern, nur zu mir nehmen darf ich nichts mehr. Ich werde doch morgen früh operiert.« Es mache ihr aber nichts aus, mir zuzusehen, versicherte sie. »Hauptsache, ich komme ein bisschen auf andere Gedanken.«
    Also musste Andy noch ein wenig warten. Ich würde ihm eine Kleinigkeit aus der Cafeteria mit hochbringen, nahm ich mir vor, als ich Kartoffelsalat, Würstchen und ein Mineralwasser aufs Tablett stellte.
    »Man ist ja doch immer beunruhigt vor solch einer Operation«, sagte Frau Gärtner, als wir an einem Tisch am Fenster saßen und auf den Park hinausblickten. »Gerade wenn man so allein ist wie ich jetzt.« In ihren Augen schimmerten Tränen.
    Ich hoffte, dass das Stationspersonal mitbekommen hatte, dass die Kripo sie besucht hatte. Was wäre schließlich einfacher, als die alte Frau, deren Aussage ihnen schaden konnte, nach dem Eingriff nicht mehr aufwachen zu lassen?
    »Wissen Sie was? Ich würde Sie gern morgen nach der OP besuchen. Lassen Sie uns gleich gemeinsam zu einer Schwester gehen, und Sie legen fest, dass ich auf jeden Fall Zugang zu Ihnen bekomme.«
    Ihr Blick aus den schimmernden blassen Augen wurde fragend. »Warum wollen Sie das tun?«
    »Ich mag Sie«, antwortete ich ehrlich. »Und ich bin doch sowieso hier, um meinen Lebensgefährten zu sehen.«
    »Das ist lieb von Ihnen, Kindchen. Und nun lassen Sie es sich schmecken, Ihre Wurst wird ja kalt.«
    Wir waren die letzten Gäste, die Bedienung begann schon, die Theke auszuräumen. Der Tag im Krankenhaus ging früh zu Ende. Die Bockwurst hatte einen schrumpeligen Darm und schmeckte wässrig, als habe sie schon stundenlang im Topf gelegen, aber der Kartoffelsalat war okay.
    »Auch wenn ich nicht alles wieder aufwühlen will – würden Sie mir noch einmal erzählen, was Sie von Herrn Wachowiaks Familie wissen?«, fragte ich.
    Die zierliche Frau legte die Unterarme auf den Tisch, die Hände gefaltet. »Also: Bernhard, der Sohn, ist Oberstudienrat. Historiker. Er hat ein Buch über Dresden-Friedrichstadt verfasst. Heinz war sehr stolz auf ihn, aber Bernhard ist durch und durch konservativ und hat unsere Freundschaft nie akzeptiert. Ebenso wie seine Frau, Elena. Sie war lange arbeitslos. Es müsste jetzt etwa ein Jahr her sein, dass sie wieder eine Stelle bekommen hat. Sie ist Buchhalterin.«
    Ich hoffte, dass die Erinnerungen nicht zu schmerzhaft für Marianne Gärtner waren.
    »Sie haben zwei Kinder, die«, sie lächelte fein, »die allerbesten Schüler sind, gut im Sport, kreativ, wunderschön und überhaupt perfekt.«
    »Die Bilderbuchfamilie.«
    »Sie sagen es. Daran gemessen, hatten die beiden Töchter es immer schwer, denke ich. Gisela hat auch auf Lehramt studiert, arbeitet aber heute als Erzieherin, ihre beiden Töchter sind die Dienstmädchen der Familie.« Wieder das ironische Lächeln.
    »Sie wissen einiges.« Ich hätte sie viel früher fragen sollen,
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