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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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Tag von unten den Himmel nicht sehen konnte. Ich bekam eine Gänsehaut bei der Vorstellung, ein Fischermarder könnte von einem Ast herunterspringen und seine Zähne und Krallen in meinen Kopf bohren. Ich hatte gehört, dass Fischermarder ihre Beute zerfleischten und dann die Knochen ausspuckten. Doch als plötzlich Gelächter zu uns herüberklang, zersprangen meine Ängste wie Glas. Zwischen den Bäumen schimmerten die Lichter eines Sommerhauses hindurch, und Bud schaltete die Taschenlampe aus.
    Ich hatte nie verstanden, warum die Leute von Sommer h äusern sprachen. Es waren regelrechte Schlösser mit makellosen Rasenflächen, die bis hinunter ans Wasser reichten, mit eigenen Anlegern, eigenen Buchten und eigenen, rohrzuckerfarbenen Stränden. Manchmal sahen wir ein paar von den Leuten, denen diese Häuser gehörten, in Rays Laden. Sie redeten ganz anders als wir. Die Frauen trugen limonengrüne Röcke und Flechttaschen mit Walen drauf, die Männer alte, ausgeblichene Hemden und Hosen, die immer gebügelt aussahen. Ihre gebräunten, blaublütigen Füße steckten in weichen Mokassins. Den ganzen Sommer über kauften sie tonnenweise Hummer und andere Lebensmittel, was die Männer von The Point natürlich freute. Aber wie Bud schon gesagt hatte, die waren die, und wir waren wir, und wir lebten in verschiedenen Welten.
    Doch jetzt, als wir uns in die Einfahrt dieses feudalen Schindelhauses hockten, dessen Turm sich in den Nachthimmel reckte, waren wir ganz kurz davor, gegen die Regeln zu verstoßen, die unsere Väter und deren Väter aufgestellt hatten. Das Haus war rundum von einer Veranda umgeben, von der Frauenstimmen herüberklangen, auf- und absteigend wie Möwen, die ein Fischerboot umschwärmen, während die der Männer verhalten grollten wie ferner Donner.
    Glens schwarze Augen funkelten im Lichtschein. »Klasse. Sie sind alle hier. Der Platz unter der Veranda ist groß genug, um drunterzukriechen. Wir verteilen die Knaller, zünden sie an, verstecken uns wieder hier und sehen zu, wie das Chaos ausbricht, wenn die Dinger hochgehen.«
    »Da sind zu viele Leute«, sagte Bud. »Wir werden bestimmt erwischt.«
    »Die machen so viel Krach, die hören uns gar nicht«, sagte ich. »Außerdem klingen sie, als wären sie betrunken.«
    »Stimmt genau«, sagte Glen. »Florine, wir beide schleichen uns von rechts an, Bud und Dottie von links. Wir treffen uns unter der Veranda. Steckt die Kerzen zwischen die Knaller, zündet sie an, und dann nichts wie weg.«
    Die Scharniere der Hintertür quietschten.
    »Da kommt jemand«, zischte Dottie. Wir duckten uns und spähten zwischen den Büschen hindurch.
    Ein großer, dünner Mann mit Glatze stieg die Stufen hinunter und kam leicht schwankend auf uns zu.
    Bud und ich kauerten vor Dottie und Glen. Als die beiden zurückwichen, um uns den Fluchtweg frei zu machen, knackte ein Zweig unter Dotties Fuß. »Mist«, fluchte sie leise.
    Der Mann blieb stehen. »Wersda?«, rief er lallend. Bud und ich konnten nicht mehr entkommen, ohne dass er uns hörte, also machten wir uns so klein wie möglich. Die Schritte des Mannes knirschten über den Kies und hielten direkt vor uns an. »Kuckuck!«, rief er und kicherte wie ein Mädchen.
    Ein paar Sekunden vergingen, bevor er zu singen begann. »You’d never know it, but I’m a kind of poet.«
    Das Ratschen eines Reißverschlusses. Dann traf mich ein warmer Strahl Pisse auf Kopf und Rücken. Die Angst, erwischt zu werden, war größer als der Ekel, also hielt ich still. Schließlich schwenkte er hinüber zu Bud. Bud ergriff meine Hand und drückte sie. Es dauerte ewig. Endlich hörte der Kerl auf und zog seinen Reißverschluss wieder zu.
    »Hadley?«, rief eine Frau vom Haus herüber.
    »Ist ja gut, du alte Schachtel, ich hau schon nicht ab«, brummelte er. Wieder knirschten seine Schritte über den Kies, dann quietschte die Hintertür und fiel mit einem Klicken ins Schloss.
    Bud stand auf und zerrte sich die Sachen vom Körper, bis er nur noch in seiner weißen Unterhose dastand. »Oh Mann«, sagte er. »Verdammter Mist.« Er wrang sein Hemd und seine Shorts aus, und da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, zog er sie wieder an. Ich wand mich aus meiner Bluse, wischte mir mit der trockenen Vorderseite den Kopf ab, so gut es ging, und zog sie ebenfalls wieder über.
    Glen und Dottie lachten, dass das ganze Gebüsch bebte.
    »Haltet die Klappe«, sagte Bud. »Lasst uns nach Hause gehen.«
    Wieder quietschte die Hintertür, und wir gingen in
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