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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot
Autoren: Kerstin Gier
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wir uns durch das Vordach in Deckung.
    »Warte«, sagte ich zu Gideon. Ich sah Lucy an. In ihren großen blauen Augen standen Tränen und aus irgendeinem Grund fiel es mir schwer, ihr nicht zu glauben.
    »Wieso bist du so sicher, dass sie nicht die Wahrheit sagen, Gideon?«, fragte ich leise.
    Er blickte mich einen Moment irritiert an. Seine Augen flackerten. »Ich bin mir eben sicher«, flüsterte er.
    »Das klingt aber nicht so«, sagte Lucy. Ihre Stimme klang sanft. »Ihr könnt uns vertrauen.«
    Konnten wir das wirklich? Wieso hatten sie dann das Unmögliche geschafft und uns hier abgepasst?
    Ich sah den Schatten nur aus den Augenwinkeln.
    »Pass auf!«, brüllte ich, da war Millhouse auch schon heran. Gideon wirbelte im letzten Moment herum, als der bullige Butler zum Schlag ausholte.
    »Millhouse, nein!« Das war Pauls Stimme von der Treppe.
    »Lauf!«, schrie Gideon und im Bruchteil einer Sekunde traf ich meine Entscheidung.
    Ich rannte los, so schnell mir das in den Knopfstiefelchen möglich war. Bei jedem Schritt wartete ich auf das Geräusch eines Schusses.
    »Sprich mit Großvater«, rief Lucy hinter mir her. »Frag ihn nach dem grünen Reiter!«
     
    Erst an der nächsten Ecke holte Gideon mich wieder ein. »Danke«, keuchte er und steckte die Pistole wieder ein. »Wenn ich die verloren hätte, wäre es knapp geworden. Hier entlang.«
    Ich sah mich um. »Werden wir verfolgt?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Gideon. »Aber für den Fall, dass doch, sollten wir uns beeilen.«
    »Wo ist dieser Millhouse denn auf einmal hergekommen? Ich hatte die Treppe die ganze Zeit im Auge.«
    »Wahrscheinlich gibt es noch eine andere Treppe im Haus. Ich habe auch nicht daran gedacht.«
    »Wo ist der Wächter mit der Droschke hin? Er sollte doch auf uns warten.«
    »Was weiß ich!« Gideon war außer Atem. Die Leute auf den Bürgersteigen sahen uns befremdet an, als wir vorbeirannten, aber das war ich ja schon gewohnt.
    »Wer ist der grüne Reiter?«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte Gideon.
    Allmählich bekam ich Seitenstechen. Lange würde ich das Tempo nicht mehr durchhalten können. Gideon bog in eine schmalere Seitenstraße ab und blieb schließlich vor dem Portal einer Kirche stehen.
    Holy Trinity
las ich auf einem Schild. »Was machen wir hier?«, keuchte ich.
    »Wir beichten«, sagte Gideon. Er sah sich um, bevor er die schwere Tür öffnete, dann schob er mich ins dämmrige Innere und schloss die Tür wieder.
    Sofort umfing uns nichts als Ruhe, der Geruch von Weihrauch und diese feierliche Stimmung, die einen sofort befällt, wenn man eine Kirche betritt.
    Es war eine hübsche Kirche mit bunten Glasmosaikfenstern, hellen Sandsteinmauern und Opferständen, auf denen Teelichter still vor sich hin flackerten, jedes einzelne ein Gebet oder ein guter Wunsch.
    Gideon dirigierte mich durch das Seitenschiff zu einem alten Beichtstuhl, zog den Vorhang beiseite und zeigte auf den Platz in der kleinen Kabine.
    »Das ist doch jetzt nicht dein Ernst?«, flüsterte ich.
    »Doch, ist es. Ich setze mich auf die andere Seite und dann warten wir, bis wir zurückspringen.«
    Perplex ließ ich mich auf den Sitz fallen. Gideon zog den Vorhang vor meiner Nase zu. Einen Augenblick später wurde das vergitterte kleine Guckfenster zum Nachbarsitz aufgeschoben. »Gemütlich?«
    Allmählich kam ich wieder zu Atem und meine Augen gewöhnten sich an das Dämmerlicht.
    Gideon sah mich mit gespieltem Ernst an. »Nun, meine Tochter! Lass uns dem Herrn für sein schützendes Haus danken.«
    Ich starrte ihn an. Wie konnte er jetzt so gelöst, ja beinahe übermütig sein? Gerade eben noch hatte er unter großer Anspannung gestanden, liebe Güte, er hatte meiner Cousine eine Pistole an den Kopf gehalten! Das konnte ihn doch unmöglich kaltgelassen haben.
    »Wie kannst du schon wieder Witze machen?«
    Plötzlich sah er verlegen aus. Er zuckte mit den Achseln. »Fällt dir was Besseres ein?«
    »Ja! Wir könnten uns zum Beispiel einen Reim daraus machen, was da eben gerade passiert ist! Warum sagen Lucy und Paul, dass jemand dein Gehirn gewaschen hat?«
    »Woher soll ich das denn wissen?« Er fuhr sich durch die Haare und ich sah, dass seine Hand ganz leicht zitterte. Also doch nicht so cool, wie er tat. »Sie wollen dich verunsichern. Und mich auch.«
    »Lucy hat gesagt, ich soll meinen Großvater fragen. Sie weiß wohl nicht, dass er tot ist.« Ich dachte an Lucys mit Tränen gefüllte Augen. »Die Arme. Das muss furchtbar sein, seine ganze Familie in
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