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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Erfüllung abhing, errathen werden konnte. So habe ich mein Leben lang trotz aller Gelüste den Personen gegenüber, die ich am meisten liebte, geschwiegen. Unfähig, meinen Geschmack einzugestehen, befriedigte ich ihn durch den Umgang mit Persönlichkeiten, die ihn in mir wach erhielten. Vor einer herrischen Geliebten auf den Knien liegen, ihrem leisesten Winke nachkommen, sie um Verzeihung anflehen, das waren für mich selige Genüsse, und je mehr meine lebhafte Einbildungskraft mir das Blut erhitzte, desto mehr hatte ich das Aussehen eines blöden Liebhabers. Eine derartige Liebeswerbung erzielt begreiflicherweise keine schnellen Erfolge und ist der Tugend der Frauen, denen man seine Huldigungen darbringt, nicht sehr gefährlich. Ich habe deshalb wenig besessen, allein dessenungeachtet auf meine Weise, das heißt in der Einbildung viele Genüsse gehabt. So hat mir gerade meine Sinnlichkeit, die meinem schüchternen Wesen und meinem schwärmerischen Geiste entsprach, die Unschuld meiner Gefühle und die Reinheit meiner Sitten bewahrt, und gerade mit Hilfe desselben Geschmacks, der mich, wenn ich ein wenig frecher aufgetreten wäre, vielleicht in die gemeinsten Wollüste hineingezogen hätte.
    Ich habe den ersten Schritt, der mir am schwersten geworden ist, in das düstre und schmutzige Labyrinth meiner Bekenntnisse gethan. Nicht das Geständnis dessen, was verbrecherisch ist, kostet am meisten Ueberwindung, sondern die offene Einräumung dessen, was lächerlich und beschämend ist. Von nun an bin ich meiner sicher; nachdem ich den Muth gehabt habe, so viel zu sagen, kann mich nichts mehr zurückhalten. Wie schwer mir solche Geständnisse angekommen sind, kann man daraus schließen, daß ich es nie in meinem Leben habe über mich gewinnen können, meine Tollheit denen zu bekennen, die ich doch mit einer so rasenden Leidenschaft liebte, daß ich nicht zu sehen und zu hören vermochte, daß ich völlig außer mir gerieth und mein ganzer Körper von einem krampfhaften Zittern befallen wurde. Auch in den Stunden der innigsten Vertraulichkeit hatte ich nicht das Herz, sie um Gewährung der einzigen Gunsterweisung zu bitten, die mir zu den übrigen noch fehlte. Diese ist mir nur einmal in meinen Kinderjahren von einem Mädchen meines Alters zu Theil geworden, und noch dazu ging von diesem der Vorschlag aus.
    Indem ich so bis zu den ersten Eindrücken meines Gefühllebens zurückgehe, finde ich Elemente, die, so unvereinbar sie auch bisweilen erscheinen, doch gemeinschaftlich dazu beigetragen haben, eine gleichmäßige und einfache Wirkung in ausgeprägtesten Farben hervorzubringen. Wieder andere finde ich, die, dem Anschein nach die nämlichen, durch das Zusammentreffen gewisser Umstände so verschiedene Verflechtungen herbeigeführt haben, daß man nie auf die Vermuthung kommen könnte, daß diese Elemente in irgend einem Zusammenhange ständen. Wer sollte zum Beispiel glauben, daß auf dieselbe Quelle, aus der Wollust und Sinnlichkeit in mein Blut geströmt sind, eine der kräftigsten Triebfedern meiner Seele zurückzuführen ist? Indem ich bei dem Gegenstande, welchen ich so eben besprochen habe, noch einen Augenblick verweile, wird sich der Leser sogleich überzeugen, daß derselbe auch einen andern, gar sehr verschiedenen Eindruck ausgeübt hat.
    Eines Tages lernte ich in dem an die Küche stoßenden Zimmer allein meine Aufgabe. Die Magd hatte die Kämme des Fräulein Lambercier auf die Kaminplatte zum Trocknen gelegt. Als sie zurückkam, um sie zu holen, zeigte es sich, daß an einem derselben die Zähne auf einer ganzen Seite ausgebrochen waren. Wer konnte der Thäter gewesen sein? Außer mir war kein anderer in das Zimmer getreten. Man verhört mich; ich läugne, die Kämme auch nur berührt zu haben. Herr und Fräulein Lambercier scheinen in ihrem Verdachte einig zu sein; beide ermahnen mich, dringen in mich, drohen mir; ich bleibe hartnäckig beim Läugnen; allein da alles zu sehr gegen mich sprach, kehrte man sich nicht an meine Betheuerungen, obgleich es das erste Mal war, daß sie mich über eine solche Keckheit im Lügen ertappt hatten. Die Sache wurde, wie sie es verdiente, ernst genommen. Die Büberei, die Lüge, die Halsstarrigkeit schienen gleicher Strafe werth! aber diesmal war es nicht Fräulein Lambercier, welche sie an mir vollzog. Man schrieb an meinen Oheim Bernard: er kam. Mein armer Vetter hatte sich ein anderes, nicht weniger schweres Verbrechen zu Schulden kommen lassen; eine und dieselbe
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