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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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sinnlich erhitzten Blutes hielt ich mich bis zu dem Alter, in dem sich auch der kältesten und am langsamsten heranreifenden Naturen entwickeln, von jeder Befleckung rein. Lange gepeinigt, ohne zu wissen wovon, verschlang ich mit brennenden Augen schöne Mädchenerscheinungen; unaufhörlich stellte meine Einbildungskraft mir ihr Bild wieder vor die Seele, einzig und allein um sie mir in der Ausübung des Strafakts zu zeigen, und eben so viele Fräulein Lambercier aus ihnen zu machen.
    Selbst nach erreichter Mannbarkeit hat mir dieser eigenthümliche und verdorbene, ja an Verrücktheit streifende Geschmack, der sich nie verloren hat, die Sittenreinheit bewahrt, die er mir dem Anschein nach hätte rauben müssen. Wenn je eine Erziehung keusch und züchtig war, so war es sicherlich die, welche ich erhalten habe. Meine drei Tanten waren nicht allein von musterhafter Sittsamkeit, sondern auch von einer Zurückhaltung, welche die Frauen schon seit lange nicht mehr kennen. Mein Vater, der sehr lebenslustig war, aber bei seinen Galanterien noch der alten Mode huldigte, hat in Gegenwart der Frauen, die er am meisten liebte, nie ein Wort über die Lippen gebracht, welches dem jungfräulichsten Wesen hätte Schamröthe auf die Wangen treiben können, und wol nirgends hat man die Rücksicht, die man den Kindern schuldig ist, weiter getrieben als in meiner Familie und meiner Gegenwart. Bei Herrn Lambercier fand ich in dieser Hinsicht die gleiche Vorsicht, und hier wurde eine sonst sehr gute Magd um eines etwas schlüpfrigen Wortes willen, das ihr uns gegenüber entschlüpft war, entlassen. Nicht allein hatte ich bis zu meinem Jünglingsalter keine klare Vorstellung von der Vereinigung der Geschlechter, sondern die verworrene Vorstellung davon stellte sich mir auch nur unter einem ekelhaften und widrigen Bilde dar. Oeffentliche Dirnen flößten mir einen Abscheu ein, der mir bis zu dieser Stunde treu geblieben ist; einen Wüstling konnte ich nicht ohne Verachtung, ja nicht ohne Schrecken sehen. Bis zu diesem Grade hatte sich mein Widerwille gegen jede Ausschweifung gesteigert, seitdem ich einmal in Klein-Sacconex auf einem Gange durch einen Hohlweg auf beiden Seiten desselben Gruben gesehen, in denen, wie man mir sagte, derartige Leute ihre Orgien feierten. So oft ich daran dachte, fiel mir unwillkürlich das Gebahren der Hunde in der Brunstzeit ein, und schon bei der blosen Vorstellung davon empörte sich mein Herz.
    Diese mir durch die Erziehung eingeimpfte Vorstellung, an sich schon geeignet, die ersten Ausbrüche eines leicht entzündlichen Temperamentes aufzuhalten, wurde, wie gesagt, durch die Wendung unterstützt, welche das erste Erwachen der Sinnlichkeit in mir nahm. Mit meinen Gedanken nur immer bei dem weilend, was ich empfunden hatte, wußte ich trotz der oft sehr lästigen Wallungen des Blutes meine Begierden nur auf die Art der Wollust zu lenken, die mir bekannt war, ohne mich je derjenigen zuzuwenden, die man mir verhaßt gemacht hatte, und die doch, ohne daß ich es im geringsten ahnte, mit der andern im engsten Zusammenhange stand. In meinen thörichten Einbildungen, in meinen erotischen Tollheiten, in den überspannten Handlungen, zu denen mich dieselben nicht selten trieben, mußte mir in der Einbildung das andere Geschlecht seine Hilfe leihen, ohne daß ich je auf den Gedanken gerieth, daß es zu einer anderen Dienstleistung geeignet sei, als zu der, zu welcher ich es heranzuziehen brannte.
    Auf diese Weise habe ich nicht allein trotz eines sehr feurigen, sehr wollüstigen, sehr früh entwickelten Temperamentes dennoch das Alter der Mannbarkeit erreicht, ohne andere sinnliche Genüsse zu verlangen oder zu kennen, als die, von denen Fräulein Lambercier sehr unschuldiger Weise eine Vorstellung in mir erweckt hatte, sondern es mußte mir auch, als ich im Laufe der Jahre zum Manne herangereift war, das, was mich hätte verderben müssen, zu meinem Schutze dienen. Mein alter kindlicher Geschmack verlor sich nicht etwa, sondern verschmolz im Gegentheile dergestalt mit dem andern, daß ich ihn nie aus meinen sinnlichen Begierden entfernen konnte; und diese Narrheit hat mich in Verbindung mit meiner angeborenen Schüchternheit bei den Frauen stets sehr wenig unternehmend gemacht, weil ich weder alles zu sagen wagte, noch alles zu thun vermochte, indem die Art von Genuß, wovon der andere in meinen Augen nur als das letzte Ziel galt, von dem, welcher ihn ersehnte, nicht verlangt, noch von derjenigen, von der die
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