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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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bei dem ich Erholung fand. Das Landleben war mir etwas so Neues, daß ich seiner Genüsse gar nicht müde werden konnte. Ich faßte für dasselbe eine so große Vorliebe, daß sie nie wieder völlig in mir erloschen ist. Die Erinnerung an jene glücklichen Tage, die ich auf dem Lande zubrachte, hat mich in jeder Lebenszeit bis zu der, welche mir die Rückkehr auf das Land wieder gestattete, mit Sehnsucht nach ihm und seinen Freuden erfüllt. Herr Lambercier war ein sehr vernünftiger Mann, der, ohne unsern Unterricht zu vernachlässigen, uns doch nicht mit Aufgaben überbürdete. Als Beweis für die Richtigkeit seiner Methode kann der Umstand dienen, daß ich trotz meiner Abneigung gegen allen Zwang doch nie mit Unlust meiner Unterrichtsstunden gedacht habe, und daß, wenn ich auch nicht gerade viel von ihm lernte, ich mir doch das Wenige ohne Mühe aneignete, und davon nichts vergessen habe.
    Der Einfachheit dieses ländlichen Lebens verdanke ich ein unschätzbares Gut, indem es mir das Herz für die Freundschaft öffnete. Bis dahin hatte ich wohl edele, aber doch nur eingebildete Empfindungen gekannt. Die Gewohnheit, friedlich zusammen zu leben, verband mich innig mit meinem Vetter Bernhard. In kurzer Zeit hegte ich für ihn freundschaftlichere Gefühle, als einst für meinen Bruder, und nie sind diese erloschen. Er war ein hoch aufgeschossener, sehr schwächlicher und zarter Knabe, eben so sanft von Gemüth wie schwächlich von Körper, welcher die Vorliebe, die man für ihn als den Sohn meines Vormundes im Hause hatte, nicht allzu sehr mißbrauchte. Unsere Arbeiten, unsere Vergnügungen, unsere Neigungen waren die nämlichen. Wir waren allein, wir waren von demselben Alter, und jeder von uns bedurfte eines Genossen; durch unsere Trennung würde man uns gewissermaßen vernichtet haben. Obgleich uns wenig Gelegenheit gegeben war, unsere gegenseitige Anhänglichkeit an den Tag zu legen, so war sie doch außerordentlich innig, und wir konnten nicht allein keinen Augenblick von einander getrennt leben, sondern konnten uns auch nicht einmal die Möglichkeit einer dereinstigen Trennung vorstellen. Alle beide bei freundlichem Entgegenkommen leicht zu lenken und, sobald uns kein Zwang auferlegt wurde, willig und dienstfertig, befanden wir uns stets über alles im Einverständnis. Wenn ihm, so lange wir unter den Augen unserer Erzieher waren, von denselben ein gewisser Vorzug vor mir eingeräumt wurde, so hatte ich, wenn wir allein waren, wieder einen solchen vor ihm, was das Gleichgewicht herstellte. In unseren Lehrstunden sagte ich ihm vor, wenn er seine Aufgabe nicht weiter wußte; war meine Arbeit beendigt, so half ich ihm bei der seinigen, und bei unsern Spielen und Zerstreuungen war ich bei meinem lebhafteren Sinn immer der Tonangeber. Kurz, unsere beiden Charaktere vertrugen sich so gut, und die Freundschaft, welche uns vereinigte, war so aufrichtig, daß wir während unseres mehr als fünfjährigen Aufenthalts zu Vassey und Genf fast unzertrennlich waren. Wir schlugen uns zwar oft mit einander, aber nie brauchte man uns auseinander zu bringen, nie währte eine unserer Streitigkeiten länger als eine Viertelstunde, und auch nicht ein einziges Mal verklagten wir uns gegenseitig. Mögen diese Bemerkungen auch, wenn man will, kindisch erscheinen, so sind sie doch für ein in der Kinderwelt fast einzig dastehendes Beispiel bezeichnend.
    Das Leben in Vassey gefiel mir so wohl, daß es bei längerer Dauer bestimmend auf meinen Charakter eingewirkt haben würde. Die zärtlichen, liebevollen, friedlichen Gefühle bildeten die Grundlage desselben. Ich bin überzeugt, daß nie ein Individuum unserer Gattung von Natur weniger Eitelkeit besaß als ich. In Augenblicken der Begeisterung wurde ich von erhabenen Gemüthsregungen ergriffen, aber ich sank sofort wieder in meine Schlaffheit zurück. Von allem, was mir nahte, geliebt zu werden, war mein sehnlichstes Verlangen. Ich war sanft, mein Vetter gleichfalls; auch die, welche uns erzogen, waren es. Zwei volle Jahre war ich weder Zeuge noch Opfer einer heftigen Empfindung. Alles nährte die natürlichen Anlagen meines Herzens. Ich kannte keine größere Wonne, als jedermann mit mir und allen Dingen zufrieden zu sehen. Stets werde ich dessen eingedenk bleiben, wie mich bei der Kinderlehre in der Kirche, wenn ich einmal beim Aufsagen des Katechismus stockte, nichts mehr in Verwirrung setzte, als die Zeichen von Unruhe und Aerger, welche auf Fräulein Lamberciers Gesichte deutlich
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