Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
an die erste Ungerechtigkeit, die ich erduldet, war zu lange und zu tief damit verbunden, um nicht wesentlich zu ihrer Verstärkung beizutragen.
    Damit hatte die Heiterkeit meiner Kindheit ihr Ende erreicht. Von diesem Augenblicke an hörte ich auf mich eines reinen Glückes zu erfreuen, selbst heute fühle ich noch, daß die Erinnerung an die Seligkeit meiner Kindheit hier vorüber ist. Wir waren dort, wie man uns den ersten Menschen darstellt, noch im irdischen Paradiese, aber ohne ferner Genuß davon zu haben. Es war scheinbar noch dieselbe Lage, und in Wirklichkeit doch ein ganz anderes Sein. Die Anhänglichkeit, die Achtung, die Herzlichkeit, das Vertrauen verband die Zöglinge nicht mehr mit ihren Erziehern; wir betrachteten sie nicht mehr wie Götter, die in unsern Herzen lasen; wir schämten uns weniger darüber, Böses zu begehen, und hatten größere Furcht, beschuldigt zu werden; wir begannen uns zu verbergen, uns aufzulehnen, zu lügen. Alle Laster unseres Alters vernichteten unsere Unschuld und gaben unsern Spielen einen häßlichen Anstrich. Selbst das Land verlor in unsern Augen den Reiz einer sanften Einfachheit, der zum Herzen geht; es schien uns öde und düster; es hatte sich wie mit einem Schleier bedeckt, der uns die Schönheiten desselben verhüllte. Wir hörten auf, unsere kleinen Gärten, unsere Pflanzen, unsere Blumen zu pflegen. Wir scharrten nicht mehr leicht die Erde auf und jauchzten vor Wonne, wenn wir den Keim des Samenkornes, das wir ausgestreut hatten, entdeckten. Wurden wir dieses Lebens überdrüssig, so wurde man auch unser überdrüssig; mein Onkel nahm uns weg, und wir schieden von Herrn und Fräulein Lambercier, unser gegenseitig satt und unsere Trennung wenig bedauernd.
    Fast dreißig Jahre sind seit meinem Scheiden von Vassey verflossen, ohne daß mir der Aufenthalt daselbst in einer Reihe einigermaßen zusammenhängender Erinnerungen in angenehmer Weise vor der Seele geschwebt hätte; seitdem ich aber die reifen Jahre überschritten habe und mich dem Alter nähere, fühle ich, wie diese Erinnerungen, während die anderen erlöschen, von Neuem erwachen und sich meinem Gedächtnisse mit Zügen einprägen, deren Reiz und Stärke von Tage zu Tage zunehmen, als ob ich im Gefühle des dahin schwindenden Lebens es wieder bei seinen Anfängen zu erhaschen suchte. Die geringsten Vorfälle aus jener Zeit erfreuen mich nur deshalb, weil sie aus jener Zeit sind. Was die Oertlichkeiten, Personen, Stunden anlangt, erinnere ich mich jedes einzelnen Umstandes. Ich sehe die Magd oder den Knecht im Zimmer beschäftigt, eine Schwalbe zum Fenster hereinfliegen, eine Fliege sich auf meine Hand setzen, während ich meine Lection aufsage; ich sehe die ganze Einrichtung des Zimmers, in dem wir uns aufhielten; rechts das Arbeitszimmer des Herrn Lambercier; einen Kupferstich, sämmtliche Päpste darstellend, einen Barometer, einen großen Kalender, Himbeeren, welche aus einem sehr hoch gelegenen Garten auf der Rückseite des Hauses das Fenster beschatteten und bisweilen bis in das Zimmer hineinragten. Ich weiß gar wohl, daß es für den Leser kein großes Bedürfnis ist, dies alles zu wissen, aber mir ist es ein Bedürfnis, es ihm zu sagen. Weshalb sollte ich nicht wagen, ihm eben so alle kleinen Anekdoten aus jenem glücklichen Alter zu erzählen, deren Erinnerung mich noch immer mit lebhafter Freude erfüllt! Besonders fünf oder sechs .. Gehen wir einen Vergleich ein. Ich schenke euch fünf, aber eine einzige bedinge ich mir aus, vorausgesetzt, daß ihr sie euch so umständlich wie möglich von mir erzählen laßt, damit ich ein desto längeres Vergnügen daran habe.
    Wenn ich nur das euere suchte, könnte ich die wählen, wie Fräulein Lambercier am Rande einer Wiese einen so unglücklichen Fall that, daß sie sich dem vorüberfahrenden Könige von Sardinien in ihrer ganzen Blöße zeigte; aber die von dem Nußbaume auf der Terrasse ist für mich ergötzlicher, da ich eine Rolle darin spielte, während ich bei jenem Purzelbaume nur den Zuschauer abgab; ich gestehe, daß ich auch nicht das geringste Wort fand, mich über einen Unfall lustig zu machen, der, so komisch er auch an sich war, mich um einer Person willen betrübte, die ich wie eine Mutter und vielleicht noch mehr liebte.
    So höret denn, ihr neugierigen Leser der großen Geschichte von dem Nußbaume auf der Terrasse, dieses schreckliche Trauerspiel und erwehret euch des Schauders, wenn ihr könnt!
    Links beim Eintritte befand sich vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher