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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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unbarmherzige Schläge, deren jeder uns ein Stich ins Herz war. In einem Augenblicke waren die Brettchen, die Leitung, die Grube, die Weide, alles zerschlagen, alles aufgewühlt, ohne daß während dieses ganzen schrecklichen Vorganges ein anderes Wort über die Lippen gekommen wäre, als jener Ausruf, den er unaufhörlich wiederholte. »Eine Wasserleitung,« schrie er, alles zertrümmernd, »eine Wasserleitung, eine Wasserleitung!«
    Man glaubt vielleicht, die Geschichte hätte für die kleinen Baumeister einen üblen Ausgang genommen. Man irrt sich: alles war damit beendigt. Herr Lambercier ließ gegen uns kein Wort des Vorwurfs fallen, machte uns kein finstres Gesicht und redete mit uns nicht mehr darüber; ein wenig später hörten wir ihn sogar bei seiner Schwester aus vollem Halse lachen, denn Herrn Lamberciers Lachen konnte man weithin hören. Noch erstaunlicher aber war, daß wir uns nach dem ersten Schrecken selbst nicht sehr betrübt fühlten. Wir pflanzten übrigens einen andern Baum und gedachten oft des traurigen Endes des ersten, indem wir einander emphatisch zuriefen: eine Wasserleitung, eine Wasserleitung! Bis dahin hatte ich hin und wieder Anwandlungen von Stolz gehabt, wenn ich Aristides oder Brutus war. Jetzt regte sich zum ersten Male in mir eine unverkennbare Eitelkeit. Im Stande gewesen zu sein, eine Wasserleitung mit unsern eigenen Händen zu bauen, einem Steckreis dieselbe Pflege wie einem großen Baume erwiesen zu haben, schien mir die höchste Staffel des Ruhmes. Mit zehn Jahren hatte ich ein richtigeres Urtheil darüber als Cäsar mit dreißig.
    Die Erinnerung an diesen Nußbaum und an die kleine Geschichte, die sich an ihn knüpft, hat sich in mir so treu erhalten oder ist in mir von Neuem erwacht, daß einer meiner angenehmsten Pläne auf meiner Reise nach Genf im Jahre 1754 der war, Vassey zu besuchen, um die Denkmale meiner kindlichen Spiele und namentlich den lieben Nußbaum wieder zu sehen, der damals schon ein drittel Jahrhundert alt sein mußte. Ich war beständig so umlagert, so wenig Herr meiner selbst, daß ich keine Zeit zur Befriedigung dieses Wunsches finden konnte. Es ist wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sich mir je wieder eine Gelegenheit dazu darbietet; indessen ist mit der Hoffnung dieser Wunsch nicht in mir erstorben, und ich bin fast überzeugt, fände ich je bei der Rückkehr nach diesen theuren Orten meinen lieben Nußbaum noch vor, würde ich ihn mit meinen Thränen netzen.
    Nach Genf zurückgekehrt, brachte ich, bis man über meine Zukunft bestimmen würde, zwei oder drei Jahre bei meinem Oheim zu. Da er seinen Sohn für die Ingenieurkunst bestimmte, ließ er ihn ein wenig im Zeichnen unterrichten und lehrte ihn selbst die Elemente des Euklid. Das alles lernte ich mit ihm und fand Gefallen daran, besonders am Zeichnen. Inzwischen überlegte man, ob man einen Uhrmacher, einen Sachwalter oder einen Geistlichen aus mir machen sollte. Ich wäre am liebsten Geistlicher geworden, denn predigen hielt ich für etwas sehr Schönes; aber die kleine Rente aus dem Vermögen meiner Mutter, die ich mit meinem Bruder zu theilen hatte, reichte für mein Studium nicht hin. Da bei dem Alter, in welchem ich mich befand, die Wahl eines Berufes noch nicht sehr dringend war, blieb ich vorläufig bei meinem Oheim, die Zeit fast verlierend und nicht unterlassend, wie es billig war, ein ziemlich hohes Kostgeld zu zahlen.
    Mein Oheim, der wie mein Vater den Vergnügungen sehr ergeben war, verstand nicht, sich von seinen Pflichten leiten zu lassen und kümmerte sich um uns ziemlich wenig. Meine Tante war eine pietistische Frömmlerin, die lieber Choräle sang, als daß sie über unsere Erziehung wachte. Man ließ uns eine fast völlige Freiheit, von der wir nie Mißbrauch machten. Stets unzertrennlich, genügten wir einander, und nie versucht, mit den Gassenjungen unseres Alters zu verkehren, nahmen wir keine der leichtfertigen Gewohnheiten an, zu welchen der Müßiggang uns hätte verleiten können. Es ist sogar Unrecht von mir, uns für müßig auszugeben, denn nie im Leben waren wir es weniger, und das Glückliche dabei war, daß all die Zerstreuungen, denen wir uns nach einander mit Leidenschaft hingaben, uns im Hause zusammen beschäftigt hielten, ohne daß wir uns auch nur versucht fühlten, auf die Straße hinabzugehen. Wir machten Vogelbauer, Pfeifen, Drachen, Trommeln, Häuser, Knallbüchsen, Armbrüste. Wir verdarben die Werkzeuge meines guten alten Großvaters, um nach
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