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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Freiheiten eben so schüchtern wie aufgeregt. Ich glaube, bei einem allzu langen Zusammensein mit ihr wäre ich gestorben; mein Herzklopfen würde mich erstickt haben. Ich fürchtete in gleicher Weise ihnen zu mißfallen, aber gegen die eine war ich zuvorkommender und gegen die andern folgsamer. Um nichts in der Welt hätte ich Fräulein von Vulson wehe thun mögen; aber hätte Fräulein Goton mir befohlen, mich in die Flammen zu stürzen, so bin ich überzeugt, daß ich ihr augenblicklich gehorcht hätte.
    Meine Liebelei, oder vielmehr meine Zusammenkünfte mit letzterer dauerten nicht lange, zum großen Glücke für sie wie für mich. Obgleich meine Verbindung mit Fräulein von Vulson nicht die gleiche Gefahr darbot, so sollte doch auch sie mit einer Katastrophe enden, nachdem sie ein wenig länger gewährt hatte. Das Ende solcher Verhältnisse sollte immer einen romantischen Anflug haben und Stoff zu schmerzlichen Herzensergießungen geben. War mein Verkehr mit Fräulein von Vulson auch weniger lebhaft, so war er vielleicht doch fesselnder. Bei jeder Trennung vergossen wir Thränen, und es ist eigentümlich, in welche trostlose Leere ich mich versenkt fühlte, nachdem ich sie verlassen hatte. Nur von ihr konnte ich reden, nur an sie konnte ich denken; mein Verlangen nach ihr war aufrichtig und lebhaft; aber ich glaube, daß im Grunde dieses heiße Verlangen nicht sie allein zum Gegenstande hatte, sondern daß auch die Vergnügungen, deren Mittelpunkt sie war, mir unbewußt ihr gutes Theil daran hatten. Um die Trennungsschmerzen zu mildern, schrieben wir uns Briefe, rührend zum Steinerweichen. Endlich hatte ich den Triumph, daß sie es dort nicht länger aushalten konnte und um mich zu besuchen, nach Genf kam. Das verdrehte mir den Kopf natürlich völlig; ich war die beiden Tage, die sie daselbst zubrachte, trunken und närrisch. Als sie abfuhr, wollte ich mich hinter ihr her ins Wasser stürzen, und lange erfüllte ich die Luft mit meinem Geschrei. Acht Tage darauf schickte sie mir Bonbons und Handschuhe, was mir sehr schmeichelhaft gewesen wäre, hätte ich nicht gleichzeitig erfahren, daß sie vermählt wäre, und daß die Reise, welche sie angeblich mir zu Ehren angetreten hatte, nur zum Einkauf der Brautkleider unternommen war. Ich will meine Wuth nicht schildern; man kann sie sich denken. In meinem edlen Zorne schwur ich, die Treulose nie wieder zu sehen, nach meiner Vorstellung die fürchterlichste Strafe für sie. Gleichwohl starb sie nicht daran; denn als ich zwanzig Jahre später während eines Besuches bei meinem Vater mit ihm auf dem See spazieren fuhr, fragte ich, wer die Damen wären, welche ich in einem Boote in unserer nächsten Nähe bemerkte. »Wie,« erwiderte mein Vater lächelnd, »sagt es dir nicht dein Herz? Es ist deine alte Liebe, es ist Frau Cristin, Fräulein von Vulson.« Zittern überfiel mich bei diesem fast vergessenen Namen: aber ich befahl den Schiffern zu wenden, denn obgleich sich mir jetzt eine günstige Gelegenheit darbot, mich zu rächen, so verlohnte es sich, wie ich dachte, doch nicht der Mühe, meineidig zu werden und einen Hader, den ich vor zwanzig Jahren hatte, mit einer Frau von vierzig von Neuem zu beginnen.

1723 – 1728
    So verlor sich, bevor über meinen Beruf entschieden war, die kostbarste Zeit meiner Jugend in Kindereien. Nach langen Ueberlegungen, wozu mich meine natürlichen Anlagen besonders befähigten, entschloß man sich endlich für das, wozu ich die geringsten besaß, und brachte mich bei einem Herrn Masseron, dem Stadtschreiber unter, damit ich unter ihm, wie Herr Bernard äußerte, das edele Geschäft eines Procurators erlernte. Diese Bezeichnung mißfiel mir im höchsten Grade. Die Aussicht, auf unedle Weise dereinst Thaler aufzuhäufen, verletzte meinen Stolz nicht wenig; die Beschäftigung kam mir langweilig, unerträglich vor; die nöthige Pünktlichkeit, der damit verbundene Zwang verleideten sie mir vollends, und nur mit Abscheu, der von Tage zu Tage wuchs, betrat ich die Kanzlei. Herr Masseron, der mit mir wenig zufrieden war, behandelte mich seinerseits mit Verachtung, indem er mir unaufhörlich meine Trägheit, meine Dummheit vorwarf und mir alle Tage wiederholte, mein Oheim hätte ihm versichert, daß ich tüchtige Kenntnisse besäße, während ich in Wahrheit nichts wüßte: er hätte ihm einen brauchbaren Jungen versprochen und ihm nur einen Esel übergeben. Endlich wurde ich wegen meiner Dummheit schimpflich aus der Kanzlei entlassen und
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