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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig
Autoren: Jörg Juretzka
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hat.“
    Sie versuchte, ihren Arm möglichst unauffällig aus dem Flaschencontainer zu ziehen. Glas klirrte. „Mir ist da etwas hineingefallen“, behauptete sie steif, machte einen Schritt zurück, stieß an ihren Rollwagen. Mehr Glas klirrte. Eine verarmte Witwe, die Pfandflaschen sammelte, um über die Runden zu kommen, dabei aber die ganze Zeit um die Wahrung ihrer Fassade bemüht war. Eine bedauernswerte Kreatur, wenn man nur eine Sekunde darüber nachdachte. Trotzdem war sie unausstehlich. „Und Ihre Autoreifen interessieren mich nicht.“
    „Schön. Doch Sie als Mitglied der Initiative gegen Kriminalität, was denken ...?“
    „Und Vandalismus“, unterbrach sie mich, fand recht flott zurück zu Form und Fassung. „Haben Sie den stinkenden Haufen Dreck da hinten neben dem Hochhaus gesehen? Manche der Bewohner hier führen sich auf wie die Tiere.“
    „Was denken Sie, wer hier in letzter Zeit die ganzen Einbrüche begangen hat?“
    So langsam, fiel mir auf, begann ich mich anzuhören wie ein Fernsehkommissar.
    „Was heißt hier begangen hat? Begeht, denn damit ist ja noch keineswegs Schluss! Und die Polizei, die Immobiliengesellschaft - alle sehen tatenlos zu, wie das Viertel in Anarchie versinkt.“
    Fehlte eigentlich nur noch, dass ich jeden, der mir über den Weg lief, nach seinem Alibi befragte. „Mit anderen Worten: Sie haben keine Ahnung. Noch nicht mal einen Verdacht?“
    „Im Gegenteil. Ich weiß, wer dahintersteckt. Nur nützen wird es wenig. Heutzutage müssen die Kriminellen ja achtzehn sein, bevor ihnen überhaupt irgendwelche Konsequenzen drohen.“
    „Könnten Sie das etwas genauer ausdrücken? Wer steckt dahinter? Welche Kriminellen müssen erst achtzehn werden?“
    Vielleicht sollte ich ein paar Kraftausdrücke einstreuen, um diesen TV-Ermittler-Tonfall abzuschwächen. Wer muss erst achtzehn werden, du blöde, hochnäsige, alte Pissfletsche? So was in der Art.
    „Na, ist ja auch kein Wunder. Bei der Mutter!“
    Nur noch eine einzige weitere ausweichende Antwort, und die Pissfletsche kommt zur Anwendung, entschied ich.
    „Welche Mutter?“
    „Na, diese Friseuse. Yvonne Kerner. Als Mutter vollkommen ungeeignet. Und obwohl Herr Siebling, ihr Lebensgefährte, sich redlich bemüht, ist er mit diesen beiden verzogenen Bengeln verständlicherweise überfordert. Die wissen ja gar nicht, was das ist, Autorität.“
    „Wir reden hier über die Zwillinge, richtig?“
    „Ohne den leiblichen Vater aufgewachsen und ohne Erziehung, bei einer Mutter, die keiner Arbeit nachgeht, immer nur benebelt herumläuft, da ist es kein Wunder, wenn die beiden auf die schiefe Bahn geraten und bei Polizei und Jugendamt die Aktenordner füllen mit ihren Eskapaden.“
    „Was denn für Eskapaden?“
    „Da fragen Sie am besten mal die Mutter selber.“
    Auch gut, dachte ich.
    „Yvonne Kerner?“ Ich muss verwundert geklungen haben.
    „Ja. Wieso?“
    Sie sah zu jung aus, um schon zwei Kinder an der Schwelle zum Teenie-Alter zu haben. Viel zu jung. Trotz der trüben Augen. „Kann ich Sie mal kurz sprechen?“ Sie fröstelte, zog eine Wolldecke enger um ihre Schultern. „Worum geht's denn?“
    „Um Ihre Jungs.“
    Mit einem Achselzucken, als wäre das genau die Antwort, mit der sie gerechnet hatte, hielt sie mir die Tür auf. „Aber der Hund muss draußen bleiben. Ich bin allergisch.“ Yvonne Kerner wirkte tatsächlich so, als ob sie ein Allergieproblem hätte. Unter anderen. Ich ließ Struppi auf der Fußmatte Platz machen, trat ein und schloss die Tür hinter mir. „Frau Kerner, ich bin der neue Hausmeister, und mir sind ein paar Sachen zu Ohren gekommen. Über Ihre beiden Söhne.“
    „Könnten Sie etwas leiser sprechen, bitte? Ich hab unheimliche Kopfschmerzen.“ Sie ließ sich ächzend auf einer Couch nieder und zog die Wolldecke hoch bis zum Kinn.
    „Wer ist da?“, kam es gereizt aus dem Nebenzimmer. Dies war eines der Zweieinhalb-Raum-Apartments, auch >Hartz-IV-Höhlen< genannt. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Kochnische, Bad. Die Stimme kam aus dem Kinderzimmer. Nur dass es keine Kinderstimme war. Sondern die von Roland Siebling, begleitet von gedämpften Geräuschen aus billigen PC-Lautsprechern. Hauptsächlich Geschrei, vielstimmig, aber auch Klirren, Scheppern und Detonationen. „Der Hausmeister“, antwortete Yvonne Kerner müde. Ihr Haar war lang, strähnig, mausig und nur noch in den Spitzen blondiert. „Es ist wegen der Jungs.“
    „Also“, sagte ich so leise es ging und so
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