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Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)

Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)

Titel: Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)
Autoren: Gianni Sander , Marc-André Rüssau
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kicherten. Der Job würde mir sicher Spaß machen …
    Das Büro war ein kleiner Raum, spärlich ausgestattet mit einem Schreibtisch, einer speckigen Ledercouch und alten Werbeplakaten an der Wand – »Partynacht der 80er«, »Schlagerparty«, »Studentenparty«. Es roch nach kaltem Rauch und warmem Schweiß, denn der Chef war so fett, dass er sogar nur von seinem Hinter-dem-Schreibtisch-Sitzen heftig schwitzte. Sein kariertes Hemd klebte an seinem Körper. Die Qualle musterte mich.
    Ich schob ihm die Personalausweiskopie über den Schreibtisch. »Ich verliere meinen Perso immer. Deswegen trage ich nur eine Kopie mit mir herum. Sie können sie behalten, dann haben Sie gleich eine bei den Akten.«
    Jeder Betrüger weiß: Hauptsache, die Geschichte wird mit Überzeugung vorgetragen. Dann stören auch logische Fehler nicht.
    Der Dicke schnaufte, es war ihm aber letztlich egal. Er hatte sowieso vor, mich schwarz zu beschäftigen. Die Türsteher, die damals in Duisburg bei der Steuer angemeldet waren, konnte man an einer Hand abzählen. Am nächsten Wochenende sollte ich anfangen. Ich verdiente 25 Mark die Stunde. Wenn ich drei Tage durcharbeitete, hatte ich 500 Mark. Damit konnte ich mein erstes bisschen Freiheit finanzieren. Aber ein bisschen Freiheit reichte mir nicht.

Kiloweise Speed
    »Fahndungsrekorde der Polizei lassen auf eine Ecstasy-Schwemme schließen. 1994 stellten Fahnder 239 051 Tabletten sicher, 1995 waren es schon 380 858. Die Tendenz ist steigend. (…) Der Stoff kommt fast ausschließlich aus den Niederlanden. Das Land spiele für die Produktion von Ecstasy und Amphetaminen eine ähnliche Rolle wie Kolumbien für Kokain und Thailand für Heroin, bekannte ein Rauschgiftspezialist des Zentralen Kriminalamts (CRI).«
    Focus , 10.6.1996, »Ecstasy«
    Mehmet ist im Heim aufgewachsen, ein Türke ohne Familie. Er geht auf die 30 zu und hat bisher nichts auf die Reihe gebracht. Mehmet ist schmächtig, immer etwas nervös und die paar Frontzähne, die er noch hat, sind braun. Er jobbt in einer Autowaschanlage zwischen Duisburg und Oberhausen. Sein Geld investiert er zu gleichen Teilen in Pillen, um drauf zu kommen, in Gras, um wieder runterzukommen, und in seinen Golf GTI.
    Ich unterhalte mich mit Mehmet vor dem »Orbit«, einem Techno-Club in Duisburg, bei dem ich seit ein paar Monaten als Türsteher arbeite. Damals, Ende der 90er-Jahre, gab es in jeder Stadt im Ruhrgebiet mindestens einen angesagten Techno-Club.
    Mehmet gehört nicht zu uns Türstehern, er hat nicht die Statur dafür, aber er gesellt sich fast jedes Wochenende zu uns. Es ist wohl wichtig für ihn, mit den Türstehern gesehen zu werden. So kann man ihn von Weitem betrachtet für einen Freund von uns halten. Wahrscheinlich überlegt es sich sein Dealer so zweimal, ob er ihn bescheißen soll.
    Meinen Kollegen geht Mehmet mit seinem Rumgestehe und den Versuchen, uns in Gespräche über Autotuning und seinen GTI zu verwickeln, auf die Nerven. Ich aber mag ihn. Ich kann selten begründen, warum ich jemanden mag. Vielleicht sind es die Parallelen in unserer Biografie. Ich habe mich von meiner Familie losgesagt. Er hat nie eine gehabt.
    »Gianni, mein Leben ist Müll«, sagt Mehmet plötzlich.
    »Was meinst du?«, antworte ich. Gerade haben wir noch über Autos geredet.
    »Weißt du, was ich in der Waschanlage verdiene? Ich könnte mir nicht mal den Eintritt für den Club leisten.«
    Aus der Tür quäkt gerade die Musik von Masterboy.
    »Willst du da rein? Ich lass dich durch, kein Problem.«
    »Quatsch.«
    Peinliches Schweigen, dann schlage ich vor: »Such dir halt ’nen neuen Job.«
    »Ist als Kanake nicht so leicht.«
    Ich schaue betreten vor mich hin.
    »Ich hab keinen Schulabschluss, kein Geld, keine Freunde. Mich respektiert keiner. Nee, echt, ich kann mir doch die Kugel geben. Würde niemandem auffallen.«
    »Du übertreibst«, lüge ich, aber ich weiß, dass die Einschätzung seines Lebens ziemlich zutreffend ist. Er hat in seiner Aufzählung eigentlich nur seine schadhaften Zähne vergessen. Doch ich halte seine Ausführungen nur für das melancholische Gerede, in das jeder Kiffer hier und da verfällt.
    Er fixiert mich und sagt dann: »Ich muss Geld auftreiben. Anja ist schwanger.«
    Da verstehe ich, dass es ihm ernst ist.
    Anja ist das Einzige, weswegen Mehmet für die meisten Jungs überhaupt erwähnenswert ist. Jeder kennt Anja, denn sie ist mit den meisten bereits im Bett gewesen, zumindest mit fast jedem Typen in Duisburg-Bruckhausen.
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