Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)

Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)

Titel: Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels (German Edition)
Autoren: Gianni Sander , Marc-André Rüssau
Vom Netzwerk:
er: »Er hat mich beklaut. Er hat meine Sammelbilder genommen.« Die Fußballbilder aus den Hanuta-Packungen sind bei uns Jungs damals ein begehrtes Gut.
    »Stimmt das?«, fragt die Erzieherin den verstörten Paul streng.
    Der weiß, dass die Erzieherin wenig Interesse daran hat, sich für ihn einzusetzen. Und er kennt nun Markus, der ihn schlimm misshandelt hat, und ahnt, was ihm die nächste Zeit blühen wird, wenn er die Wahrheit sagt. Also gibt er sich einen Ruck und antwortet: »Ja, das stimmt.«
    »Gib sie ihm zurück«, fordert die Erzieherin ihn auf und geht aus dem Zimmer. Uns andere Jungs, die auf dem Gang stehen, um das Spektakel mitzuerleben, schickt sie in die Betten. Damit ist die Sache für sie erledigt. Markus raunt Paul zu: »Wenn du was sagst, kriegst du es noch mal.«
    Ich spüre Hass auf Markus in mir aufsteigen und auf die Erzieher, die ihn nicht stoppen. Mir wird klar, dass ich die Dinge selbst regeln muss, wenn ich für Gerechtigkeit sorgen will. Also beschließe ich, Markus’ Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Er soll es auch bei mir versuchen. Und das wird ihm nicht gut bekommen.
    Beim nächsten Frühstück setzte ich mich Markus direkt gegenüber. Ich schaue ihm in die Augen, damit er das, was nun kommt, als Kriegserklärung versteht. Dann greife ich zu den Streuseln. Ich sehe, dass Markus das Blut vor Wut in den Kopf steigt. Doch er traut sich noch nichts zu sagen.
    Später, beim Zähneputzen, stellt er sich im Waschraum an das Waschbecken neben mich. Er tritt gegen mein Bein. Einmal, zweimal, dreimal …
    Dann packe ich seinen Hinterkopf, greife in seine Haare, schlage ihn mit dem Gesicht auf den gusseisernen Wasserhahn. Das geht so schnell, dass Markus sich nicht abstützen kann. Ungebremst knallt er gegen das Eisen. Er bleibt mit der Wange am Wasserhahn hängen, seine halbe Backe wird aufgerissen. Sein Blut spritzt über das weiße Waschbecken.
    Markus kommt ins Krankenhaus, seine Wange muss genäht werden. Als er zurückkommt, ist er verändert. Zwar ist er weit davon entfernt, ein guter Mensch zu sein, der mit den Schwächeren teilt. Aber er ist vorsichtiger geworden. Er weiß, dass es auch für ihn Grenzen gibt.
    Wie er sich im Waschraum verletzt hat, sagt er niemandem. Ich werde also nie von den Erziehern bestraft. Wenn du dich für eine gerechte Sache einsetzt, kommst du eben meistens damit durch.

    Ich wurde in einem Boot auf dem Mittelmeer gezeugt. Mein Vater schmuggelte mit mehreren Segelbooten Zigaretten, Waffen, Kokain, Menschen – eigentlich alles, was Geld brachte. Als meine Mutter von Bord und zurück nach Deutschland ging, war mein Vater kurz darauf mehrere Wochen nicht erreichbar. Die spanischen Behörden hatten ihn aufgegriffen und in den Knast gesteckt, es gab wohl einigen Klärungsbedarf. Meine Mutter musste also warten, bis er sich freigekauft hatte. Erst dann konnte sie ihm die frohe Botschaft übermitteln, dass ich unterwegs war. Mein Vater nahm das zum Anlass, ihr einen Heiratsantrag zu machen.
    Die beiden hatten sich im Zug aus der Schweiz nach Düsseldorf kennengelernt. Meine Mutter war in St. Gallen im Internat und auf dem Weg zu ihren Eltern, was mein Vater in Deutschland wollte, weiß ich nicht.
    Mein Vater ist ein syrischer Christ. Seine Familie hatte über Jahrhunderte gelernt, sich als christliche Minderheit im arabischen Raum zu behaupten. Da war es überlebenswichtig, sich Wege am Rand der Legalität zu suchen. Klug, aufrecht, aber manchmal eben auch illegal. Wenn meine Vorfahren sich schon den Glaubensgesetzen der Herrscher nicht unterwarfen, warum dann deren weltliche Gesetze befolgen?
    Die Dinge manchmal nicht ganz nach dem Wortlaut des Gesetzes zu regeln, habe ich wohl eher von der Familie meines Vaters. Meine Mutter stammte aus einer Architektenfamilie, ihr Vater hatte einige bedeutende Bauten hochgezogen und bekam in den 70er-Jahren das Bundesverdienstkreuz verliehen. Sie war behütet aufgewachsen, ein ordentliches Mädchen. Aber die ordentlichen Mädchen verlieben sich nun mal gern in die wilden Jungs.
    Allerdings hielt meine Mutter den Lebensstil meines Vaters nicht lange aus. Während sie allein mit dem Baby in einer Dreizimmerwohnung saß, fuhr mein Vater in der Welt herum, um seine Geschäfte zu regeln. Als ich drei Jahre alt war, ließ sie sich scheiden. Mein Kontakt zum Vater beschränkte sich in der Folge darauf, hier und da gemeinsam am Wochenende zu McDonald’s zu gehen oder in den Zoo. Er sagte mir einmal, dass er auch nicht genau
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher