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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen
Autoren: Jo Nesbø
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gekommen war. Er war dabei so brutal vorgegangen, dass Ho Dai nie wieder laufen können würde. Als Olsen zu reden begann, war Johan Krohn jr. in Gedankenbereits damit beschäftigt, die Berufung vor der Großen Strafkammer zu formulieren.
    »Rass-ismus«, las Olsen, nachdem er in seinen Papieren gefunden hatte, wonach er gesucht hatte, »ist ein ewiger Kampf gegen erbliche Krankheiten, Degenerierung und Ausrottung, verbunden mit dem Traum und der Hoffnung auf eine gesündere Gesellschaft mit mehr Lebensqualität. Rassenvermischung ist eine Form des bilateralen Völkermordes. In einer Welt, in der geplant ist, Genbanken zu errichten, um selbst den winzigsten Käfer zu erhalten, wird es allgemein akzeptiert, Menschenrassen miteinander zu vermischen – und damit auszuradieren –, die sich über Jahrtausende entwickelt haben. In einem Artikel der renommierten amerikanischen Zeitschrift American Psychologist aus dem Jahre 1972 warnten fünfzig namhafte amerikanische und europäische Wissenschaftler vor der Verheimlichung der erbtheoretischen Argumentation.«
    Olsen hielt inne, ließ seinen Blick durch den Saal Nummer 17 schweifen und hob den rechten Zeigefinger. Er hatte sich dem Staatsanwalt zugewendet, so dass Krohn die bleiche Sieg-Heil-Tätowierung auf dem kahl geschorenen Hautwulst zwischen Hinterkopf und Nacken erkennen konnte, ein stummer Aufschrei und ein grotesker, merkwürdiger Kontrast zu der kühlen Rhetorik. In der Stille, die nun folgte, entnahm Krohn dem Lärm, der vom Flur hereinschallte, dass man im Saal 18 bereits Mittagspause machte. Einige Sekunden vergingen. Krohn erinnerte sich an etwas, was er gelesen hatte, dass nämlich Adolf Hitler bei den Massenaufmärschen oftmals Kunstpausen von bis zu drei Minuten eingelegt haben soll. Als Olsen fortfuhr, klopfte er mit seinen Fingern im Takt, als wollte er den Anwesenden jedes Wort und jeden Satz einhämmern.
    »Jeder, der glaubt, dass dort draußen kein Rassenkampf vor sich geht, ist entweder blind oder ein Verräter.«
    Er nahm einen Schluck aus dem Wasserglas, das der Gerichtsdiener vor ihn hingestellt hatte.
    Der Staatsanwalt schritt ein.
    »Und in diesem Rassenkampf sind Sie und Ihre Anhänger, von denen sich einige hier im Saal befinden, die Einzigen, die das Recht zum Angriff haben?«
    Buhrufe ertönten von den Skinheads in den Bankreihen.
    »Wir greifen nicht an, wir verteidigen uns«, widersprach Olsen. »Das ist das Recht und die Pflicht aller Rassen.«
    Jemand aus dem Saal warf ihm ein paar Worte zu, die Olsen aufnahm und mit einem Lächeln wiedergab.
    »Auch ein Rassenfremder kann in Tat und Wahrheit ein rassenbewusster Nationalsozialist sein.«
    Gelächter und lauter Beifall von den Zuhörern. Der Richter bat um Ruhe und sah dann den Staatsanwalt fragend an.
    »Das war alles«, sagte Groth.
    »Hat der Verteidiger noch weitere Fragen?«
    Krohn schüttelte den Kopf.
    »Dann bitte ich den ersten Zeugen der Staatsanwaltschaft herein.«
    Der Staatsanwalt nickte dem Gerichtsdiener zu, der die Tür hinten im Saal öffnete, den Kopf nach draußen steckte und etwas sagte. Das Kratzen eines Stuhlbeines war zu hören, ehe sich die Tür weit öffnete und ein kräftiger Mann den Saal betrat. Krohn registrierte, dass der Mann eine etwas zu kleine Anzugjacke trug, schwarze Jeans und ebenso schwarze Doc-Martens-Stiefel. Der athletische, schlanke Körper hätte auf ein Alter von etwa Anfang dreißig schließen lassen. Doch die rot unterlaufenen Augen mit den hervortretenden Tränensäcken und die blasse Haut mit den dünnen Äderchen deuteten eher in Richtung fünfzig.
    »Polizeiobermeister Harry Hole?«, fragte der Richter, als der Mann im Zeugenstand Platz genommen hatte.
    »Ja.«
    »Den Papieren entnehme ich, dass Ihre Privatadresse nicht angegeben ist?«
    »Geheim.« Hole deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Ich hatte zu Hause Besuch.«
    Erneut ertönten Buhrufe.
    »Herr Hole, haben Sie früher schon einmal ausgesagt? Unter Eid, meine ich.«
    »Ja.«
    Krohns Kopf schnellte nach oben wie bei den Plastikhunden, die einige Autofahrer hinten auf der Hutablage platziert haben. Er begann, fieberhaft seine Dokumente zu durchstöbern.
    »Sie arbeiten als Ermittler im Morddezernat«, sagte Groth. »Was haben Sie mit diesem Fall zu tun?«
    »Wir sind von falschen Voraussetzungen ausgegangen«, erwiderte Hole.
    »Ach ja?«
    »Wir haben nicht damit gerechnet, dass Ho Dai überleben würde. Für gewöhnlich ist man mit zertrümmertem Schädel und dem Verlust
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