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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache
Autoren: Thomas Harris
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in den Abflüssen der Waschbecken einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Dennoch sah sich Graham noch einmal selbst um.
    Anhand der Polizeifotos und der Umrißlinien auf den Matratzen konnte Graham feststellen, wo die Leichen gefunden worden waren. Bestimmte Spuren - im Fall der Schußwunden Nitratrückstände auf den Laken - deuteten darauf hin, daß die Opfer ungefähr in der Stellung aufgefunden worden waren, in der sie gestorben waren.
    Unerklärt blieben jedoch nach wie vor die Vielzahl der Blutflecken und die Schleifspuren auf dem Teppich im Flur. Einer der Beamten hatte die Theorie geäußert, ein paar der Opfer könnten versucht haben, sich kriechend vor dem Mörder in Sicherheit zu bringen. Davon war Graham jedoch nicht überzeugt. Seiner Ansicht nach hatte der Mörder sie eindeutig durch die Zimmer geschleift, nachdem sie gestorben waren, um sie dann wieder zurück an die Stelle zu schaffen, wo sie ursprünglich den Tod gefunden hatten.
    Was der Eindringling mit Mrs. Leeds getan hatte, war offensichtlich. Doch wie stand es mit den anderen? Er hatte sie nicht wie Mrs. Leeds weiter verstümmelt. Die Kinder wiesen jeweils nur eine Schußwunde am Kopf auf. Charles Leeds war verblutet, wobei noch hinzu kam, daß er wohl auch Blut in die Atemwege bekommen hatte. Sonst wies sein Körper nur noch Spuren einer leichten Einschnürung um die Brust auf, die vermutlich von einem Zeitpunkt nach seinem Tod herrührte.
    Was also hatte der Mörder mit ihnen angestellt, nachdem sie tot waren?
Aus seinem Dossier nahm Graham die Polizeifotos, die Laboranalysen der einzelnen Blut- und Gewebespuren und die Standard-Vergleichstabellen für die Bahnen von Blutspritzern.
In minutiöser Kleinstarbeit nahm er sich die Räume im Obergeschoß des Hauses noch einmal vor und versuchte dabei, die einzelnen Verletzungen mit den jeweiligen Blutspuren in Zusammenhang zu bringen, rollte somit den Fall noch einmal von hinten auf. Mit Hilfe einer mit einem Raster unterteilten Skizze des Schlafzimmers überprüfte er jeden Spritzer und bestimmte mit Hilfe der Vergleichstabellen die Richtung und die Geschwindigkeit des Blutaustritts. Auf diese Weise hoffte er Aufschluß darüber zu gewinnen, an welchen Stellen die Leichen sich zu den verschiedenen Zeitpunkten befunden hatten.
Da waren zum Beispiel drei Blutspuren, die erst schräg nach oben und dann um eine Ecke des Schlafzimmers verliefen. Oder drei kaum mehr erkennbare Flecken auf dem Teppich direkt unter ihnen. Auf Charles Leeds’ Seite war die Wand über dem Kopfteil des Betts stark mit Blut verschmiert, und entlang des Kopfteils verliefen Schleifspuren.
Grahams Skizze sah allmählich aus wie ein Bilderrätsel, bei dem sich durch die Verbindung der einzelnen numerierten Punkte ein Bild ergab; allerdings fehlten auf Grahams Blatt noch die Nummern zu den einzelnen Punkten. Er starrte auf das Blatt Papier vor sich, ließ seinen Blick durch den Raum wandern und wieder zurück auf die Skizze, bis sein Kopf zu schmerzen begann.
Er ging ins Bad, wo er seine beiden letzten Bufferin nahm und sie mit einem Schluck Wasser aus seiner unter den Wasserhahn gehaltenen Hand hinunterspülte. Danach spritzte er sich noch etwas Wasser ins Gesicht und trocknete es mit einem Zipfel seines Hemdes ab. Das Wasser ergoß sich auf den Boden. Er hatte vergessen, daß das Abflußrohr entfernt worden war. Ansonsten war das Bad mit Ausnahme des zerbrochenen Spiegels und der Spuren von rotem Fingerabdruckpulver, dem sogenannten Drachenblut, vollkommen unangetastet. Zahnbürsten, Gesichtscremes, Rasierapparat - alles war an seinem Platz. Das Bad sah aus, als würde es noch immer von einer Familie benutzt. Von einer Handtuchstange hing Mrs. Leeds’ Strumpfhose; sie hatte sie dort offensichtlich zum Trocknen aufgehängt. Sie hatte ein Bein - vermutlich hatte es eine Laufmasche gehabt abgeschnitten, um sie mit einer anderen einbeinigen Strumpfhose im selben Farbton zu tragen. Dieser kleine Hinweis auf Mrs. Leeds’ häusliche Sparsamkeit berührte Graham eigenartig; Molly machte es genauso.
Graham stieg durch ein Fenster auf das Verandadach hinaus und hockte sich auf die rauhen Schindeln. Er schlang seine Arme um seine Knie - sein feuchtes Hemd klatschte kalt gegen seinen Rücken - und schnaubte den Geruch des Gemetzels aus seiner Nase.
    Die Lichter von Atlanta überzogen den Nachthimmel mit schmutzigem Rostrot, so daß die Sterne kaum zu sehen waren. Auf den Keys war es bestimmt eine klare Nacht. Er hätte mit Molly und
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