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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache
Autoren: Thomas Harris
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erstreckte sich eine Holzveranda. An der Verandatür war das Siegel der Polizei von Atlanta angebracht. Graham entfernte es und trat ein.
Die Glasscheibe in der Tür von der Veranda zur Küche, aus der ein Stück herausgeschnitten worden war, war von der Polizei durch eine Sperrholzplatte ersetzt worden. Im Schein der Taschenlampe schloß er sie mit dem Schlüssel auf, den ihm die Polizei zur Verfügung gestellt hatte. Am liebsten hätte er sämtliche Lichter im Haus angeknipst, seine blitzende Dienstmarke angesteckt und alle möglichen offiziellen Geräusche gemacht, um seine Anwesenheit in dem totenstillen Haus zu rechtfertigen, in dem fünf Menschen den Tod gefunden hatten. Doch er tat nichts dergleichen. Er betrat die dunkle Küche und ließ sich am Frühstückstisch nieder.
Zwei Kontrollampen der Einbauküche durchdrangen blau das Dunkel. Es roch nach Möbelpolitur und Äpfeln.
Das Thermostat klickte leise, und die Klimaanlage ging an. Das Geräusch ließ Graham zusammenzucken; er verspürte einen Anflug von Angst. Er stand auf vertrautem Fuß mit der Angst. In diesem Fall würde er sich nicht von ihr einschüchtern lassen. Ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut, aber das machte nichts. Wenn er Angst hatte, konnte er besser sehen und hören. Allerdings konnte er dann nicht so klar und deutlich sprechen, und manchmal machte ihn die Angst auch grob. Doch hier gab es niemanden mehr, mit dem er sprechen, niemanden, den er beleidigen hätte können.
Der Wahnsinn hatte das Haus durch jene Tür auf Schuhen der Größe elf betreten. Während er im Dunkel am Frühstückstisch saß, konnte er diesen Wahnsinn spüren wie ein Bluthund, der an einem Hemd eine Fährte aufnimmt.
Graham hatte fast den ganzen Tag und den frühen Abend damit verbracht, den Bericht der Mordkommission von Atlanta zu studieren. Ihm fiel ein, daß beim Eintreffen der Polizei die Leuchtstoffröhre in der Abzughaube über dem Herd gebrannt hatte. Er stand auf und schaltete sie ein. An der Wand neben dem Herd hingen zwei bestickte Deckchen. Auf einem stand: ›Liebe geht durch den Magen. ‹ Die Inschrift des anderen lautete: ›Eigener Herd ist Goldes wert.‹
Graham sah auf seine Uhr. Dreiundzwanzig Uhr dreißig. Laut Aussagen des Gerichtsmediziners muß der Tod der Opfer zwischen dreiundzwanzig Uhr und ein Uhr früh eingetreten sein.
Zuerst mußte er sich Zutritt zum Haus verschafft haben. Graham ließ sich das durch den Kopf gehen...
    Der Irre löst den Haken der Fliegengittertür zur Veranda. Steht im Dunkel auf der Veranda und nimmt etwas aus seiner Tasche. Einen Saugnapf, möglicherweise die Unterseite eines Bleistiftspitzers mit einer speziellen Saugvorrichtung, um ihm auf der Schreibtischplatte besseren Halt zu verleihen.
    Gegen die untere Hälfte der Küchentür gekauert, hebt der Irre seinen Kopf, um durch die Glasscheibe in der Tür ins Innere zu spähen. Er streckt seine Zunge heraus und leckt damit die Haftvorrichtung ab, um sie gegen das Glas zu drücken und sie durch das Umlegen des Hebels zum Haften zu bringen. Mit einer Schnur war ein kleiner Glasschneider an der Haftvorrichtung befestigt, damit er eine kreisrunde Öffnung herausschneiden konnte.
    Das schwache Quietschen des Glasschneiders und ein leichter Schlag, um das Glas herauszubrechen. Dabei hält er mit einer Hand die Saugvorrichtung fest. Die herausgeschnittene Glasscheibe darf unter keinen Umständen zu Boden fallen. Das herausgelöste Glasstück ist eher eiförmig als rund, da sich beim Herausschneiden die Schnur um den Haltegriff des Saugnapfs gewickelt hat. Als er das herausgeschnittene Stück Glas durch die Öffnung nach draußen zieht, entsteht ein leises knirschendes Geräusch. Er kümmert sich nicht darum, daß er Speichel auf dem Glas hinterläßt, der seine Blutgruppe AB bestimmen läßt. Seine Hand in dem knapp sitzenden Handschuh schlängelt sich durch die Öffnung, tastet nach dem Türgriff. Lautlos öffnet sich die Tür. Er ist in der Küche. Im Licht der Lampe unter der Abzughaube kann er seinen eigenen Körper in dieser fremden Küche sehen. Es ist angenehm kühl im Haus.
    Will Graham aß zwei Di-Gels. Das Knistern des Zellophans störte ihn, als er die Packung in seine Tasche zurücksteckte. Als er dann den Wohnraum durchquerte, hielt er die Taschenlampe gewohnheitsmäßig weit von sich gestreckt. Obwohl er die Grundrißzeichnung des Hauses sorgfältig studiert hatte, öffnete er erst eine falsche Tür, bevor er die Treppe fand. Sie knarrte nicht.
    Und nun
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