Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache
Autoren: Thomas Harris
Vom Netzwerk:
bestellen, als der Drugstorebesitzer in Urlaub war. Als dieser aus dem Urlaub zurückkam, feuerte er Smoot für eine Woche. Dann veranstalteten sie eine große Kewpie-Puppen-Verkaufsaktion. Die fünfzig Puppen wurden in einem Halbkreis so im Schaufenster aufgestellt, daß sie jeden anstarrten, der einen Blick ins Schaufenster warf. Sie hatten riesige kornblumenblaue Augen und stellten eine recht ungewöhnliche Schaufensterdekoration dar. Entsprechend lange hatte Graham sie sich damals auch angesehen. Ihm war klar, daß es sich dabei nur um Puppen handelte, aber dennoch hatte er das Gefühl, Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu sein. So viele von ihnen, und alle starrten sie ihn an. Entsprechend blieben nicht wenige Leute vor dem Schaufenster stehen. Lauter Gipspuppen, alle mit demselben dämlichen Gesichtsausdruck, und doch hatte ihm ihr konzentriertes Starren ein leichtes Kitzeln in der Magengrube verursacht.
Graham begann sich langsam etwas zu entspannen. Die starrenden Puppen. Er nahm einen Schluck Whisky, verschluckte sich und hustete die Flüssigkeit auf seine Brust. Er tastete nach der Nachttischlampe und holte das Dossier aus der Kommode. Dann entnahm er ihm die Obduktionsbefunde der drei Leeds-Kinder und seine Koordinatenskizze vom Schlafzimmer und breitete die Unterlagen auf dem Bett aus.
Da waren die drei Blutstreifen, die um die Ecke verliefen, und die entsprechenden Spuren auf dem Teppich. Hier standen die Körpermaße der drei Kinder. Bruder, Schwester, großer Bruder. Paßt. Paßt. Paßt.
Sie waren nebeneinander an der Wand gesessen. Mit Blickrichtung zum Bett. Als Publikum. Als totes Publikum. Und Leeds. Er war um die Brust am Kopfteil des Betts festgebunden gewesen. Als wäre er im Bett gesessen. Davon hatten also die Fesselspuren um seinen Brustkorb hergerührt - und der Blutfleck über dem Kopfteil.
Doch was hatten sie beobachtet?
Nichts; sie waren alle tot. Doch ihre Augen standen offen. Sie wurden Zeugen einer kleinen Vorführung mit dem Irren und der Leiche von Mrs. Leeds in den Hauptrollen, Schauplatz war das Bett. Auf ein Publikum war es dem Täter also angekommen; er wollte in ihre Gesichter blicken, wenn er von Mrs. Leeds aufsah.
Graham fragte sich, ob er wohl eine Kerze angezündet hatte. Ihr flackernder Schein hätte den toten Gesichtern den Anschein von Lebendigkeit verliehen. Am Tatort war keine Kerze gefunden worden. Vielleicht würde er beim nächsten Mal daran denken, eine mitzubringen...
Die erste, zaghafte Verbindung zum Täter war hergestellt; sie juckte und brannte wie ein Blutegel, der sich an ihm festgesaugt hatte. Grahams Fingernägel gruben sich in das Laken, während er sich das Gehirn zermarterte.
Warum hast du sie wieder an ihren alten Platz zurückgebracht? Warum hast du sie nicht dort gelassen, wo sie waren? Es muß etwas geben, von dem du nicht willst, daß ich es über dich weiß. Oder ist es einfach nur etwas, dessen du dich schämst? Oder handelt es sich dabei um etwas, das ich auf keinen Fall erfahren darf, wenn ich dir nicht auf die Schliche kommen soll? Hast du ihnen die Augen geöffnet?
Mrs. Leeds sah doch sehr gut aus, oder nicht? Du hast das Licht angeknipst, nachdem du ihm die Kehle durchgeschnitten hattest, damit Mrs. Leeds ihn zusammenbrechen sehen konnte. War es nicht so? Es muß ganz schön frustrierend gewesen sein, diese verdammten Handschuhe tragen zu müssen, als du sie berührt hast, nicht wahr?
An ihrem Bein waren Puderspuren gefunden worden. Im Bad gab es jedoch keinen Puder. Es schien, als spräche jemand anderer diese beiden Fakten in neutralem Tonfall aus.
Du hast doch deine Handschuhe abgestreift, nicht wahr? Der Puder kam von einem Gummihandschuh, als du ihn dir abgestreift hast, um sie zu betatschen. So war es doch, du verdammtes Schwein! Du hast sie mit deinen bloßen Händen berührt, und dann hast du dir die Handschuhe wieder angezogen und sie von oben bis unten abgewischt. Doch während du die Handschuhe abgestreift hattest - hast du ihnen da die Augen geöffnet?
    Beim fünften Läuten nahm Jack Crawford den Hörer ab. Er war es gewohnt, nachts vom Telefon aus dem Schlaf gerissen zu werden, und war sofort hellwach.
    »Jack, hier spricht Will.«

    »Ja, was gibt’s?«
    »Arbeitet Price eigentlich immer noch für die Fingerabdruckabteilung?«
»Ja. Allerdings ist er kaum mehr unterwegs. Er arbeitet vorwiegend am Einzelabdruckindex.«
»Ich finde, er sollte unbedingt nach Atlanta kommen.«
»Wieso? Du hast doch selbst gesagt, der Mann, den sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher