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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache
Autoren: Thomas Harris
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Willy nach Sternschnuppen Ausschau halten und auf das Zischen lauschen können, das eine Sternschnuppe von sich geben mußte, wie sie sich alle drei einig geworden waren. Die Delta Aquarid-Meteoritenphase hatte ihren Höhepunkt erreicht, und Willy würde sicher aufbleiben, um sie zu beobachten.
    Er schauderte und stieß erneut ein Schnauben aus. Er wollte jetzt nicht an Molly denken. Das wäre ebenso geschmacklos wie ablenkend gewesen.
    Was Geschmack betraf, hatte Graham nachhaltige Probleme. Seine Gedanken waren oft nicht geschmackvoll. Sein Denken vermochte keine wirksamen Trennwände aufzubauen. Was er sah und erlebte, geriet mit allem anderen, was er wußte, in Berührung. Und mit einem Teil dieser Kombinationen war nicht gerade einfach zu leben. Aber er war nie im voraus auf sie gefaßt, vermochte sie nicht abzublocken oder zu verdrängen. Aber er hatte mit seinen anerzogenen Wertvorstellungen hinsichtlich dessen, was sich gehörte, seine liebe Not; sie waren schockiert über seine Assoziationen, entsetzt über seine Träume. Bedauerlicherweise gab es in dem von den Knochen seines Schädels umschlossenen Raum für all das, was ihm lieb und teuer war, keine Rückzugspunkte. Seine Assoziationen brachen mit Lichtgeschwindigkeit über ihn herein. Dagegen ließ sich das Tempo seiner Wertvorstellungen eher mit der Gedankenfolge bei aufmerksamem Lesen vergleichen. Jedenfalls konnten sie unmöglich mit seinem Denken Schritt halten, geschweige denn bestimmen, in welchen Bahnen es verlaufen sollte.
    Graham betrachtete diese Eigenschaft als grotesk, aber durchaus nützlich - etwa wie einen Stuhl aus lauter Hirschgeweihen. Jedenfalls gab es nichts, was er daran hätte ändern können.
    Graham löschte die Lichter im Haus und verließ es durch die Küche. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe glitt über ein Fahrrad und einen Hundekorb. Im Garten stand außerdem eine Hundehütte, und neben der Treppe zur Veranda entdeckte er einen Futternapf.
    Alles hatte doch darauf hingedeutet, daß die Familie Leeds im Schlaf überrascht worden war.
Die Taschenlampe zwischen Kinn und Brust geklemmt, notierte Graham sich: Jack nach dem Hund fragen.
Dann fuhr er in sein Hotel zurück. Er mußte sich aufs Fahren konzentrieren, obwohl um diese Zeit - es war inzwischen halb fünf Uhr früh - kaum Verkehr herrschte. Er hatte Kopfschmerzen, und er hielt nach einer durchgehend geöffneten Apotheke Ausschau.
In der Peachtree entdeckte er schließlich eine. Der schludrige Wachmann döste neben dem Eingang. Ein Apotheker in einem Jackett, das in seiner Schäbigkeit bestens zu den Schuppen auf seinem Kragen paßte, verkaufte Graham eine frische Packung Bufferin. Das Neonlicht in der Apotheke verursachte Schmerzen.
Graham konnte diese jungen Apotheker nicht ausstehen; sie sahen oft aus, als wären sie eben aus einer Mülltonne gekrochen. Außerdem haftete ihnen häufig etwas penetrant Selbstgefälliges an, weshalb Graham sie im Verdacht hatte, daß sie sich im Kreise ihrer Familie ziemlich aufspielten.
»Ist das alles?« wollte der Apotheker wissen, während seine Finger über der Tastatur der Registrierkasse verharrten. »Darf es sonst noch etwas sein?«
    Das FBI-Büro von Atlanta hatte ihm in einem sonderbaren Hotel unweit des neuen Peachtree Centers ein Zimmer reserviert. Um auch seine letzten Zweifel auszuräumen, daß er sich nun wirklich in einer Stadt befand, hatte es gläserne Aufzüge, die wie Wolfsmilchblüten geformt waren.
    Graham fuhr mit zwei Teilnehmern eines Parteitags nach oben; die beide hatten auf ihren Namensschildern zu allem Überfluß auch noch ein joviales ›Hi!‹ stehen. Sie hielten sich an der Griffstange fest und sahen während der Fahrt in die Hotelhalle hinunter.
    »Schau mal, da unten an der Rezeption - das ist doch Wilma und diese andere; die kommen auch gerade nach Hause«, bemerkte der Größere von beiden. »Mann, der würde ich’s gern mal ordentlich besorgen.«
    »Die gehört gevögelt, bis ihr die Nase blutet«, fiel sein Begleiter an.
Angst und Geilheit - und Wut über die Angst.
»Weißt du eigentlich, warum Frauen Beine haben?«
»Nee, wieso?«
»Damit sie nicht wie Schnecken eine Schleimspur hinterlassen.«
Die Lifttür ging auf.
»Sind wir hier richtig? Ist das schon unser Stockwerk?« Der Größere torkelte gegen den Türrahmen, als er ausstieg.
»Der Blinde, der die Blinden führt«, bemerkte der andere dazu.
In seinem Zimmer legte Graham das Dossier auf die Kommode, um es dann jedoch nach kurzem Überlegen
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