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Rot

Rot

Titel: Rot
Autoren: Taavi Soininvaara
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wenn sie erwischt wird? Bringt man sie dann um? Bringt man mich um? Ich verbiete ihr, zu fliehen.
    Wutentbrannt stürmt Emma zu dem Abfluss und schlüpft hinein, ich erwische gerade noch ihr Bein, ziehe sie wieder heraus und nehme sie in den Arm, bis sie sich beruhigt hat. Wir liegen stundenlang in dem dunklen und kalten Keller; nichts zu essen, kein Wasser und oben ständig Schreie, bei denen einem das Blut in den Adern gefriert. Ich spüre die Angst als physischen Schmerz und bin sicher, dass man uns alle umbringen wird. Als die Nacht anbricht, versuchenwir uns eng umschlungen warm zu halten und schlafen schließlich ein.
    Wach werde ich, als die Kellertür aufgeht und Manas etwas brüllt. Mit einem Satz stürzt er zu dem Kanalisationsschacht. Emma ist nirgendwo zu sehen. Der Kirgise steckt eine Hand tief in den Abfluss hinein, ich höre einen gedämpften Schrei meiner Schwester, er kommt von unten, da wird mir klar, was passiert ist: Emma versucht zu fliehen.
    Ich richte mich auf. Manas bemerkt es und schlägt mit der Faust auf meinen Oberschenkel wie mit einem Hammer. Es ist nicht so, dass ich irgendeine Entscheidung treffe, alles geschieht wie von selbst, erst als ich schon den dunklen Kellergang entlang renne, wird mir klar, dass ich flüchte. Vorn ist ein Lichtschein zu sehen, ich erreiche das Treppenhaus und beschleunige mein Tempo, soweit das der Schmerz im Bein zulässt. Eine große Werkhalle, weit und breit kein Mensch. Ich renne von einer Tür zur anderen – alle sind abgeschlossen. Die Fenster sind vergittert, draußen sieht man Laubbäume und weiter weg Fabrikgebäude. In einer Ecke der Halle steht ein mehrere Meter hoher Ofen, vermutlich ein Koksofen. Ich kehre ins Treppenhaus zurück und steige vorsichtig hinauf. Die Schmerzensrufe von Vater und Mutter sind nun deutlicher zu hören. Im ersten Stock findet sich kein Fluchtweg, ich laufe schneller, die Stufen hinauf, die Schreie werden noch lauter, auch die zweite Etage ist leer.
    Ich bleibe im Treppenhaus stehen und schnappe nach Luft. Ist das Gebäude mit anderen Häusern verbunden? Könnte ich über das Dach fliehen? Doch Vater und Mutter werden im dritten Stock gefoltert, wenn ich mich dorthin wage, erwischt man mich bestimmt. Ich brauche eine Waffe, irgendetwas, womit ich mich wehren kann. Zwar bin ich erst vierzehn, aber groß und kräftig, im günstigsten Fall schaffe ich es möglicherweise, einen der Männer zu überrumpeln, aber nicht mehrere. Ich beschließe, mein Glück im Keller zu versuchen, vielleicht kann ich dort zugleich Emma helfen.
    Ich renne die Treppen wieder hinunter und werde erst langsamer,als ich den Keller sehe, in dem Emma und Manas zurückgeblieben sind. Man hört ein gedämpftes Weinen, dumpfe Schläge und das Knirschen von Sand. Vorsichtig trete ich näher und werfe durch den Türspalt einen Blick in die Zelle hinein. Manas schlägt mit einem Stein auf den Rand der Abflussöffnung und hält mit der anderen Hand Emma am Fuß, ihre Stimme ist vom Schreien ganz heiser. Meine Schwester ist eingeklemmt. Ich mustere Manas und schätze meine Chancen ab, der Mann ist so groß wie ein Gorilla und bewaffnet, gegen den komme ich auf gar keinen Fall an.
    Im selben Augenblick gelingt es Manas, Emma aus der Kanalisation herauszuziehen. Verblüfft registriere ich, wie er meiner Schwester etwas beruhigend zuflüstert, sie auf den Arm nimmt und schaukelt wie ein Kleinkind. Ich begreife nicht, was hier los ist. Die gleichen Leute foltern weiter oben Vater und Mutter.
    Mit Emma auf dem Arm wendet sich Manas zur Tür. Ich renne zurück ins Treppenhaus. Im Erdgeschoss verstecke ich mich hinter einem Stapel Kartons und beobachte, wie Manas die leise weinende Emma die Stufen hinauf trägt. Schon bald werden die alle hinter mir her sein. Es hilft nichts, wenn ich mich verstecke, sie finden mich, das ist unvermeidlich. Ich muss versuchen zu fliehen, und dafür gibt es nur einen Weg.
    Ohne anzuhalten stürme ich die Treppen hinauf in die zweite Etage, bleibe stehen, lausche, höre aber nur mein Herz heftig schlagen, sonst nichts. Keine Schreie. Leise schleiche ich weiter hinauf, bis ich gedämpfte Stimmen vernehme. Doch ich muss es riskieren.
    Ich werfe kurz einen Blick in die Fabrikhalle der dritten Etage und ziehe den Kopf sofort wieder zurück hinter die Wand. Da drin ist niemand. Ich schaue noch einmal hinein, diesmal in aller Ruhe. Am anderen Ende der Halle, ein paar Dutzend Meter entfernt, sind Türen zu sehen. Dann bemerke ich eine
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