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Rot

Rot

Titel: Rot
Autoren: Taavi Soininvaara
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Sekunden losgelassen. Das Gedränge im Foyer erleichterte dem rothaarigen Polizisten die Arbeit.
    Er verließ das Restaurant, ging hundert Meter weiter bis zur Oksanenkatu, klopfte dreimal an die Seitentür eines weißen Ford Transit und zwinkerte seiner Kollegin zu, als die Tür des Lieferwagens aufglitt. Dann reichte er ihr die Tasche und kehrte zum Restaurant zurück, er würde im Elite zu Abend essen und Smirnow im Auge behalten.
    Die SUPO-Mitarbeiterin Eeva Vanhala, die im Laderaum des Transporters saß, hatte dicke Tränensäcke und dunkle Augenringe. Ihr Gesicht war kreidebleich, letzte Nacht hatte sie nur wenig geschlafen und das auch noch unruhig. Eeva Vanhala schwitzte,sie trug die Verantwortung für diese Operation. Das war mit Abstand ihr wichtigster Auftrag, seit sie in der Abteilung für Gegenspionage der SUPO arbeitete. Sie hatten Smirnows Tasche schon vor einigen Wochen in Moskau fotografiert und somit genug Zeit gehabt, ein identisches Exemplar zu beschaffen und so zu bearbeiten, dass es genau die gleichen Kratzer und abgenutzten Stellen aufwies wie das Original. Den Tausch würde der Russe nur bemerken, wenn es der Zufall wollte, dass er das Double öffnete und die leeren Blätter sah. Doch das war zumindest in den nächsten anderthalb Stunden nicht zu befürchten, so lange würde das Essen für die Gäste des Außenpolitischen Instituts mindestens dauern. Es blieb also nicht viel, aber ausreichend Zeit. Das war die einzige Gelegenheit, das Material zu kopieren. Übernachten würde Smirnow in einem der Gebäude auf dem Gelände der russischen Botschaft, und dort einzudringen kam nicht in Frage.
    Eeva Vanhala brauchte nur ein paar Minuten, bis sich das Kombinationsschloss öffnete, denn sie wusste, wie man den richtigen Code mit höchstens dreißig Versuchen fand. Sie klappte den Deckel hoch und fluchte. Die Tasche war vollgepackt mit Unterlagen, das mussten hunderte Seiten sein … Ihre Hand zitterte, als sie das erste Dokument nahm und umdrehte, auf die Glasplatte des kleinen Tischkopierers legte und den Knopf drückte. Das Gerät sortierte die Kopien in zwei Fächer – eine für die SUPO, die andere für sie selbst. Das nächste Blatt, umdrehen, hinlegen, wieder zwei Kopien, das nächste, umdrehen, hinlegen … Nach einer Viertelstunde war sie gezwungen, eine Pause zu machen, die Hände wollten einfach nicht mehr in dem Takt arbeiten, den die Befehle aus ihrem Gehirn vorgaben. Sie hatte noch nicht einmal annähernd die Hälfte geschafft. Wieder stand ihr der Angstschweiß auf der Stirn.
    Das nächste Blatt, umdrehen, zwei Kopien, oh verdammt, ein Papierstau … Zwei Kopien, das nächste Blatt, umdrehen … Nach anderthalb Stunden lag in der Tasche immer noch ein etwa zweiZentimeter hoher Stapel. Ihr Kollege im Restaurant Elite würde sich melden, sobald Smirnows Tischgesellschaft den Kellner um die Rechnung bat, ihr blieb also noch etwas Zeit. Dennoch versuchte sie, das Tempo zu beschleunigen, geriet dadurch aber nur in ihren Handbewegungen durcheinander. Sie wollte lieber nicht daran denken, für welche Vergehen man sie anklagen würde, sollten die zusätzlichen Kopien bei ihr gefunden werden.
    »Die Tischgesellschaft des BÄREN hat die Rechnung bestellt!«, dröhnte es plötzlich in ihrem Ohrhörer. Eeva Vanhala bestätigte den Empfang der Meldung. Ein Dokument mit etlichen Seiten war noch übrig, das nächste Blatt, umdrehen, zwei Kopien, das nächste Blatt, umdrehen, gottverdammich, wieder ein Papierstau, zwei Kopien …
    Smirnows Material schnell wieder einpacken, ihre Kopien in die Umhängetasche und den Ohrhörer raus. Sie stieg hastig aus, rannte fünfzig Meter bis zu ihrem Peugeot auf der Apollonkatu und warf ihre Tasche in den Kofferraum. Dann versteckte sie Smirnows Aktenkoffer unter ihrem Mantel und eilte im Laufschritt zur Glastür des Restaurants Elite.
    Als sie ihren rothaarigen Kollegen im Foyer der Gaststätte sah, blieb sie stehen. Wenn Blicke töten könnten, hätten die ihres Kollegen sie auf der Stelle hingerichtet. Anatoli Smirnow wartete im Mantel vor der Garderobe, rauchte und hatte die Tasche fest in der Hand. Eeva Vanhala begriff, dass sie zu spät gekommen war. Sie stand mit Smirnows Aktenkoffer am Mika-Waltari-Park im eisigen Nordwind und spürte auf der Zunge den gallebitteren Geschmack des Versagens.
    Die Teilnehmer am Essen des Außenpolitischen Instituts verließen einer nach dem anderen das Restaurant, um auf ein Taxi oder ein anderes Auto zu warten. Eeva Vanhala
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