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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee
Autoren: dtv
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und dem Stacheldraht war ein Stückchen blauer Himmel zu sehen.
    Die Tür ging auf, und da stand Patricio. Im Hintergrund war der Mann mit dem Pferdeschwanz zu erkennen. Er lächelte und nickte Manuel zu.
    Die Brüder betrachteten sich quer durch den Raum. Patricios Haare waren kurz geschnitten, fast wie rasiert – genau wie Manuel es erwartet hatte. Er sah verändert aus. Er hatte zugenommen, und um den Mund zeigte sich ein Zug von traurigem Pessimismus, der Manuel an ihren Vater erinnerte. Patricio war gealtert. Das grüne Hemd spannte über dem Bauch, die blauen Hosen waren zu kurz und die Latschen kamen ihm am Bruder total fremd vor.
    »Alle lassen dich grüßen«, war das Erste, was Manuel sagte.
    Patricio fing sofort an zu weinen und konnte minutenlang nicht sprechen. Manuel ging nicht darauf ein. Er wollte den starken großen Bruder markieren, und irgendwie war er auch wütend, dass der Jüngere wegen einer Situation weinte, in die er sich selbst gebracht hatte.
    Aber er umarmte Patricio und klopfte ihm auf den Rücken, und dieser schnupperte an seiner Schulter, als wolle er dort den Duft des Heimatlandes finden. Manuel fiel auf, dass die Ohren des Bruders runzlig geworden waren.
    Sie setzten sich auf die Pritsche. Manuel sah sich um.
    »Nehmen die auf, was wir sagen?«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Patricio.
    »Wie ist es?«
    »Es geht gut. Aber was machst du hier?«
    |32| »Hast du deine Familie vergessen?« Wütend stand Manuel auf, aber Patricio reagierte nicht.
    »Mutter redet von nichts anderem als von dir und Angel. Die Nachbarn sagen, sie wird noch verrückt.«
    Ein Vogel flog dicht an dem vergitterten Fenster vorbei. Manuel schwieg und betrachtete den Bruder.
    »Wie behandelt man dich?«
    »Die sind nett«, sagte Patricio.
    Nett, dachte Manuel, was für ein Wort für Menschen, die in einem Gefängnis arbeiten. Jetzt, da er die Möglichkeit hatte, seine Neugier zu befriedigen, war sein Interesse für Patricios Leben im Gefängnis auf einmal verschwunden. Manuel wollte nicht hören, was Patricio tat, womit er die Zeit zubrachte.
    »Was ist mit Angel passiert?«
    Manuel hatte gar nicht vorgehabt, den Bruder direkt zu fragen, denn er wusste, dass es Patricio wehtat, über das Geschehene zu sprechen. Patricio hatte in seinen Briefen immer wieder von seiner Schuld geschrieben, davon, dass er für Angels Tod mitverantwortlich sei.
    Seine Stimme klang fremd, als Patricio nun berichtete. Die Zeit im Gefängnis hatte ihn nicht nur physisch verändert. Ob es die Wiedersehensfreude war? Oder war er vielleicht deshalb so offenherzig und gesprächig, weil er Zapotekisch sprechen konnte?
    Man hatte Angel wahrscheinlich schon auf dem Weg von Spanien nach Deutschland beschattet. Er hatte Patricio, der sich noch in San Sebastián aufhielt, von irgendwo in Frankreich angerufen. Dabei hatten sie fest verabredet gehabt, unterwegs keinen Kontakt aufzunehmen. Aber Angel war völlig aufgewühlt, und er sagte, er würde verfolgt. Er wollte nach San Sebastián zurückkommen, aber Patricio hatte ihn überredet, wie vereinbart weiter nach Frankfurt zu fahren.
    Angel wollte das Paket wegwerfen, aber Patricio hatte ihn |33| ermahnt, er solle sich beruhigen. Wenn er das Kokain wegwerfen würde, bekämen sie Ärger.
    »Wie starb er?«
    »Ich glaube, er wollte vor der Polizei türmen. Er rannte über die Gleise und   … da kam ein Zug.«
    »Angelito«, seufzte Manuel.
    Er konnte den Bruder vor sich sehen, wie er rannte, vorwärtsstolperte. Patricio mit seinen langen Beinen hätte es vielleicht geschafft. Aber Angel war nicht zum Rennen geboren.
    »Die haben elftausend Pesos geschickt«, sagte Manuel.
    Patricio sah ihn an und wiederholte stumm die Summe. Seine Lippen formten »elftausend Pesos«, als wenn es sich um eine Formel handelte.
    »Steckt der Dicke dahinter?«
    Patricio nickte. Manuel sah, dass er sich schämte, er dachte wohl an jenen Tag im Dorf. Wie der Große, der sich Armas nannte, zusammen mit einem dicken weißen Mann in einen Van einstieg. Manuel erinnerte sich vor allem daran, wie sehr der Dicke schwitzte.
    »Wo ist er?«
    Patricio sah sich im Raum um.
    »Hast du was zu schreiben?«
    Patricio riss ein Stück von dem Geschenkpapier ab, in das die kleine Tonvase eingepackt war, die Manuel mitgebracht hatte, schrieb einige Zeilen und schob den Zettel Manuel zu.
    »Restaurante Dakar Ciudad Uppsala« stand da.
    Manuel sah seinen Bruder an. Ein Restaurant.
    »Der Dicke und der Lange?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete
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