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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee
Autoren: dtv
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Jungen hätten keinen guten Kontakt zueinander. Aber als Eva |26| vorschlug, die Söhne könnten über längere Zeiträume bei ihm leben, wich er aus.
    Nun hatte sie alle Zeit der Welt. Sie musste lediglich darauf achten, die Termine beim Arbeitsamt einzuhalten, ihre Söhne zu ernähren und dafür zu sorgen, dass sie in die Schule gingen und einigermaßen rechtzeitig ins Bett kamen.
    Manchmal war sie für die Kündigung fast dankbar. Ihr war, als hätte der Prozess ihrer Befreiung mit der Scheidung begonnen und als wäre der Grad der Freiheit nach der Kündigung noch anders und intensiver geworden.
    Natürlich war das keine wirkliche Unabhängigkeit. Das Geld reichte nicht. Früher hatten sie nur wenige Tage, höchstens mal eine Woche knapsen müssen, bis wieder Lohn kam. Jetzt schien das Geld nie für mehr als das Allernötigste zu reichen, trotz aller Einschränkungen. Vor einem Monat hatte sie das Rauchen aufgegeben. Sie hatte ausgerechnet, dass sie schon vierhundert Kronen gespart hatte. Wo waren die geblieben?, fragte sie sich, wusste aber sofort die Antwort. Allein die Einlagen für Hugos Schuhe kosteten mehr als tausend Kronen.
    Die Freiheit mochte größer geworden sein, doch das Selbstwertgefühl war am Boden. Eva meinte manchmal zu spüren, dass die Umgebung sie jetzt mit anderen Augen betrachtete. Sie war eine, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stand. Nur wollte niemand über sie verfügen! Sah man es ihr schon an? Hinterließ die Arbeitslosigkeit physisch sichtbare Spuren? War etwas mit ihrer Haltung, dass die Mädchen im Supermarkt an der Kasse, kaum älter als Patrik, sie wie einen Menschen zweiter Klasse betrachteten, oder die Busfahrer, wenn sie mitten am Tag in den Bus stieg? Sie wollte es nicht glauben, aber das Gefühl, weniger wert zu sein, hatte sich festgebissen.
    Und jetzt auch noch Helen. Ergab sich für sie mit der Möglichkeit, Eva kleinzumachen, unbewusst eine Chance, sich für ihr eigenes Zukurzgekommensein zu rächen? Für ihre |27| Unterordnung unter einen Mann, von dem sie sich längst hätte trennen müssen?
    Eva traute sich bald nichts mehr zu. Sicher war die Wohnung blitzsauber, alles war an seinem Platz, alles war in schönster Ordnung. Aber wurde sie noch gebraucht?
    Falsch!, dachte sie auf einmal. Und ob ich gebraucht werde! Sie hatten auf der Arbeit darüber geredet, wie wichtig es war, das zu wissen. Gebraucht wurde sie zum Beispiel von den Alten, die sich auf der Post geduldig mit Briefen oder Benachrichtigungsscheinen in der Hand in die Schlange einreihten und warteten, bis sie an der Reihe waren. Aber dann hatte irgendwer beschlossen, die Postämter müssten verkleinert und die Zahl der Sitzplätze müsste verringert werden. Eines Tages waren ein paar Handwerker gekommen und hatten eine Wand eingezogen. So fing es an. Nun mussten die Alten im Stehen warten.
    Als Nächstes wurden die Öffnungszeiten eingeschränkt. Es wurde in jeder Hinsicht eng. Der Ton wurde schärfer, und immer öfter kamen Klagen. Die Frauen hinter den Schaltern bekamen die Frustration der Kunden zu spüren. Eines Tages war eine Liste im Postamt ausgelegt, wo die Kunden ihre Proteste gegen den schlechteren Service und die Schließung von immer mehr Postämtern dokumentieren konnten. Die Tageszeitung druckte die Leserbriefe ab, aber nichts half, und schließlich wurde Evas Amt geschlossen. Das war vor neun Monaten gewesen.
    Gott im Himmel, was hatte sie nicht alles versucht, um einen Job zu finden. In den ersten Wochen war sie in die Geschäfte gegangen, hatte bei Behörden und Ämtern angerufen, hatte Freundinnen angesprochen und sogar Jörgen gefragt, ob er nicht etwas bei der Sanierungsfirma erreichen könnte, wo er arbeitete.
    Aber es schien nichts für sie zu tun zu geben. Im Sommer hatte sie einige Wochen lang auf der Sozialstation gearbeitet |28| und danach in einem Großmarkt fast eine Aushilfsstelle für eine Kranke bekommen. Aber die Kranke hatte sich wunderbarerweise vom Krankenbett erhoben und war wieder auf der Arbeit erschienen.
    Danach war es still geworden.

5
    S o hatte sich Manuel ein Gefängnis vorgestellt: graue Mauern und ringsum oben auf einem hohen Zaun Stacheldraht. Er hatte auch eine Art bemanntes Schilderhäuschen erwartet, wo er sein Begehren vorbringen müsste. Aber hier gab es nur ein riesiges Tor und darin eine kleinere Tür.
    Unentschlossen ging er näher, schaute nach oben und zu den Seiten. Er meinte, von Kameras überwacht zu werden. Plötzlich piepte es in einem
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