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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz
Autoren: Stendhal
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bemerkte ihre Angst. Da sprang es auf die Promenade und rannte zu ihr. Es ward tüchtig ausgescholten.
    Der kleine Zwischenfall gab dem Gespräch eine Wendung.
    »Auf jeden Fall möchte ich den jungen Sorel, den Sohn des Sägemüllers, zu uns nehmen«, erklärte Herr von Rênal. »Er soll die Kinder beaufsichtigen. Wir können die Racker schon nicht mehr bändigen ... Er ist angehender Priester, also ein tüchtiger Lateiner. Er wird sie vorwärtsbringen. Hat er doch einen festen Charakter, wie der Pfarrer meint. Ich werde ihm dreihundert Franken Jahresgehalt und Kost geben. Nur an seiner politischen Gesinnung zweifle ich ein bißchen. Er war nämlich der Liebling des alten Stabsarztes, des Ehrenlegionärs, der bei den Sorels gehaust hat, als angeblicher Vetter von ihnen. Wer weiß, ob das nicht ein verkappter Spion der Liberalen gewesen ist. Er sagte zwar immer, unsre Bergluft wäre gut gegen sein Asthma. Aber weiß man es denn? Er hat alle Feldzüge des Buonaparte 7 in Italien mitgemacht. Man munkelt sogar, er habe seinerzeit gegen das Kaiserreich gestimmt. Dieser Jakobiner hat dem jungen Sorel das Latein beigebracht und ihm den Haufen Schmöker hinterlassen, den er mitgebracht hatte. Übrigens wäre es mir niemals eingefallen, den Sohn dieses Holzhackers zu unsern Jungen zu nehmen, aber der Pfarrer hat mir erzählt – gerade tags vor der Geschichte, die uns für ewig auseinandergebracht hat –, daß der Sorel seit drei Jahren Theologie studiert und in ein Priesterseminar eintreten will. Somit ist er kein Liberaler. Er ist Lateiner.«
    »Auch in andrer Hinsicht ist mein Plan nicht übel«, fuhr Rênal fort, indem er seiner Frau einen verschmitzten Blick zuwarf. »Der Valenod protzt neuerdings mit den zwei prächtigen Normannen, die er sich für seine Kutsche gekauft hat. Aber einen Erzieher für seine Kinder hat er nicht.«
    »Wenn er uns unsern nur nicht wegschnappt...«
    »Du bist also auch dafür!« unterbrach Rênal seine Frau und dankte ihr für den trefflichen Einfall mit einem Lächeln. »Gut! Somit ist die Sache abgemacht!«
    »Du mein Gott! Du bist recht schnell entschlossen, Bester!«
    »Ja, ja! Weil ich weiß, was ich will! Der Pfarrer hat das heute auch verspürt. Wir wollen uns nichts vormachen: wir sind hier von Liberalen umringt! Alle diese Leinwandhändler sind voller Neid auf mich. Darüber bin ich mir ganz klar. Zwei oder drei von ihnen sind nahe daran, reiche Leute zu werden. Es soll mir Spaß machen, wenn sie die Kinder des Herrn von Rênal mit ihrem Erzieher auf der Stadtpromenade erblicken. Das wird ihnen imponieren. Mein Großvater hat uns oft erzählt, daß er in seiner Jugend einen Erzieher hatte ... Das kostet mich zwar hundert Taler, aber es ist für uns eine notwendige Ausgabe, um standesgemäß aufzutreten.«
    Der plötzliche Entschluß versetzte Frau von Rênal in tiefes Nachdenken. Sie war eine große stattliche Erscheinung, ehedem der Stern der Gegend , wie man in den Bergen zu sagen pflegt. Ihr Wesen war unsagbar schlicht. Ihr Gang jugendhaft. Ihre unbewußte, keusche und frische Grazie wäre für einen Pariser süße Wollust gewesen. Aber Frau von Rênal hätte sich geschämt, wenn ihr ein solcher Eindruck bekanntgeworden wäre. Gefallsucht und Geziertheit waren ihrem Herzen fremde Dinge. Valenod, der Armenamtsvorstand, ein reicher Mann, hatte ihr, wie es hieß, den Hof gemacht, aber ohne Erfolg. Das hatte ihrer Tugend den Heiligenschein verliehen, denn Valenod war ein ansehnlicher junger Mann. Mit seinem kräftigen Körperbau, seinem roten Gesicht und seinem langen schwarzen Backenbart war er einer jener ungeschlachten, dünkelhaften und lärmigen Burschen, die unter Provinzlern für schöne Männer gelten.
    Frau von Rênal, eine sehr scheue und sichtlich ganz andersartige Natur, war insbesondere durch die ewige Unruhe und die heftige laute Art Valenods abgeschreckt worden. Da sie sich von allem fernhielt, was in Verrières für lustig galt, war sie in den Ruf gekommen, ungemein adelsstolz zu sein. Derlei kam ihr gar nicht in den Sinn; nur war sie seelenfroh, daß die Verrièrer sie seltener aufsuchten. Übrigens galt sie in den Augen ihrer Bekanntinnen für dumm, dieweil sie ihrem Manne gegenüber so gar keine Diplomatin war und sich die besten Gelegenheiten, einen schönen neuen Hut aus Paris oder Besançon zu bekommen, regelmäßig entgehen ließ. Es war ihr alles recht, wenn sie nur in ihrem Garten einsam und allein bleiben durfte.
    Bei ihrem harmlosen Gemüt verstieg sie
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