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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz
Autoren: Stendhal
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durch Gedanken an die Zukunft rauben. Ich malte mir tausend Kämpfe aus, die ich bestehen zu müssen wähnte, ehe sich mir ein ungeheures Glück erschlösse...
    Genug! Ich wäre gestorben, ohne das echte Glück zu erfahren, wenn du nicht zu mir in mein Gefängnis gekommen wärst!«
    Zwei Ereignisse sollten Julians ruhiges Leben noch stören. Sein Beichtvater, wenngleich durch und durch Jansenist, fiel dennoch in das Netz der Jesuitenintrige und ward unwissentlich ihr Werkzeug. Eines Tages sagte er zu Julian, er müsse alles tun, um begnadigt zu werden. Da die Pariser Geistlichkeit viel Einfluß auf den Justizminister hätte, gäbe es ein einfaches Mittel. Er müsse auffällig fromm werden.
    »Auffällig?« wiederholte Julian. »Jetzt durchschaue ich Sie! Also auch Sie spielen Komödie!«
    Der Jansenist verlor seine Würde nicht. »Ihre Jugend«, sagte er, »Ihr interessantes Gesicht (ein Geschenk der Vorsehung!), sogar der unerklärliche Anlaß Ihrer Untat, die hochherzigen Bemühungen des Fräuleins von La Mole zu Ihren Gunsten und schließlich die erstaunliche Freundschaft Ihres Opfers für Sie – alles das hat dazu beigetragen, daß Sie der Held der jungen Frauen von Besançon geworden sind. Man hört nichts reden als von Ihnen. Wenn Sie nun mit einem Male ein Heiliger würden, so machte dies auf tausend Frauenherzen den tiefsten Eindruck. An Ihnen liegt es, der Sache des Glaubens einen großen Dienst zu erweisen. Die Tränen, die über Ihre Bekehrung fließen werden, machen den verderblichen Einfluß von zehn Auflagen der Werke Voltaires zunichte.«
    Kalt entgegnete Julian: »Und was habe ich davon, wenn ich mich zu guter Letzt selbst verachten muß? Ich bin ehrgeizig gewesen. Deshalb tadle ich mich nicht. Darin war ich ein Kind meiner Zeit. Jetzt lebe ich in den Tag hinein. Es fällt mir nicht ein, mich zu einer solchen Niederträchtigkeit herzugeben...«
    Der andere Zwischenfall, der Julian ungleich näherging, hatte seinen Ursprung in Frau von Rênals Naivität. Es war irgendeiner intriganten Freundin gelungen, ihr einzureden, es sei ihre Pflicht, nach Saint-Cloud zu fahren und sich König Karl dem Zehnten zu Füßen zu werfen.
    Ehedem wäre sie lieber gestorben, als daß sie sich derart vor aller Welt bloßgestellt hätte; aber jetzt nach der Trennung von Julian und andern großen Opfern war ihr dies gänzlich gleichgültig.
    »Ich will zum Könige gehen und laut eingestehen, daß du mein Geliebter bist...«
    »Ich will dich nicht mehr sehen«, unterbrach Julian ihre Worte, »ich lasse mein Gefängnis vor dir verschließen, und ich nehme mir bestimmt tags darauf aus Verzweiflung das Leben, wenn du mir nicht schwörst, keinerlei Schritte zu unternehmen, die uns beide vor aller Welt lächerlich machen!
    Fräulein von La Mole hat großen Einfluß in Paris. Sei überzeugt, daß sie alles tut, was menschenmöglich ist. Laß uns den kleinen Seelen keinen Anlaß geben, sich über uns lustig zu machen!«
    Die ungesunde Luft des Gefängnisses hielt Julian kaum noch aus. Glücklicherweise war an dem Tage, da er seinen letzten Gang antreten mußte, der schönste Sonnenschein. So war er in mutiger Stimmung. Die frische Luft war ihm ein köstlicher Genuß, just wie dem Seemann nach langer Meerfahrt ein Spaziergang auf dem Festlande.
    »Vorwärts!« rief er sich zu. »Welch ein Glück! Ich habe Mut!«
    Nie war sein Kopf so voller Poesie gewesen, wie im Augenblick, ehe er fallen sollte. Die holden Stunden, die er einst in den Wäldern von Vergy erlebt hatte, tauchten ihm in der Erinnerung auf, greifbar, klar und deutlich, in reicher Fülle.
    Alles ging in einfacher, mannhafter Weise vor sich. An seinem Verhalten war nichts Geziertes.
    Zwei Tage vorher hatte er zu Fouqué gesagt: »Ich kann mich nicht verbürgen, daß ich keine Erregung verrate. Das häßliche Kerkerloch verursacht mir bisweilen Fieberanfälle, in denen ich mich selber nicht wiedererkenne. Furcht jedoch ... nein, man soll mich nicht erblassen sehen!«
    Er hatte die nötigen Anordnungen getroffen, daß Fouqué sowohl Mathilde wie Frau von Rênal am Morgen des letzten Tages fortbrachte. Frau von Rênal hatte ihm nochmals schwören müssen, am Leben zu bleiben.
    »Wer weiß«, sagte er zu Fouqué, »ob wir nach dem Tode nicht doch Empfindungen haben. Ich möchte gern in der kleinen Grotte ruhen – ja, ruhen ist das rechte Wort dafür – hoch in den Bergen über Verrières. Ich habe dir wohl erzählt, daß ich dort in der Grotte mehrmals die Nacht
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