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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz
Autoren: Stendhal
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Mangel eines Gottes, der gerecht, gut und allmächtig ist und nicht böse und rachgierig ...
    Ach, wenn es solch einen Gott gäbe, ich fiele ihm zu Füßen. Ich habe den Tod verdient, würde ich ihm sagen, aber, großer Gott, gütiger Gott, nachsichtiger Gott, gib mir noch einmal die Geliebte!«
    Es war späte Nacht geworden.
    Nach ein paar Stunden friedlichen Schlummers kam Fouqué. Julian erwachte, stark und entschlossen, als ein Mann, dessen inneres Auge klar sah.

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Fünfundvierzigstes Kapitel
    U m alles mit Anstand zu erfüllen, was sich nach der Massenmeinung gehört, ließ Julian durch seinen Freund Fouqué einen Beichtvater kommen, einen Jansenisten. Trotz dieser schlechten Wahl stand er, dank Herrn von Frilair, noch immer unter dem Schütze der Jesuiten. Hätte er sich nur einigermaßen klug benommen, so hätte er entkommen können. Aber unter der Wirkung der dumpfen Kerkerluft war sein Verstand gelähmt.
    Um so glücklicher war er, als sich Frau von Rênal wieder einstellte.
    »Meine höchste Pflicht gilt dir!« sagte sie, indem sie ihn umarmte. »Ich bin aus Verrières entflohen.«
    Ihr gegenüber hatte Julian keine kleinliche Eigenliebe. Er erzählte ihr alle die Anwandlungen von Schwäche. Sie war voll Liebe und Güte gegen ihn. Julians Überschwang und Liebestrunkenheit waren maßlos. Es gelang Frau von Rênal, durch Bestechung und durch Mißbrauch des Ansehens ihrer alten reichen Tante, der Frömmlerin, Julian zweimal täglich besuchen zu dürfen. Als Mathilde dies erfuhr, wurde sie vor Eifersucht halb wahnsinnig. Frilair hatte ihr erklärt, seine Macht reiche nicht so weit. Er könne es nicht riskieren, ihr die Erlaubnis zu verschaffen, ihren Freund mehr als einmal täglich besuchen zu dürfen. Der vielerfahrene Intrigant ließ übrigens nichts unversucht, um ihr zu beweisen, Julian sei ihrer unwürdig. Sie liebte ihn unter tausend Qualen nur um so mehr und bereitete ihm fast jeden Tag eine entsetzliche Szene.
    Julian gab sich die größte Mühe, die junge Dame, die er auf so sonderbare Weise in ihrer Ehre gefährdete, bis zu Ende ritterlich zu behandeln. Sie tat ihm leid. Aber immer von neuem warf seine schrankenlose Liebe zu Frau von Rênal seinen Vorsatz nieder. Wenn es seinen lahmen Ausflüchten nicht gelang, Mathilde zu überzeugen, daß die Besuche ihrer Rivalin harmlos seien, dann sagte er sich: »Nun muß das Ende der Tragikomödie schon sehr nahe sein. Das ist die einzige Entschuldigung meiner stümperhaften Heuchelei.«
    Fräulein von La Mole erhielt die Nachricht, der Marquis von Croisenois sei ihretwegen im Duell gefallen. Herr von Thaler, der Pariser Krösus, hatte sich eine abfällige Bemerkung über Mathildens Verschwinden erlaubt. Die Gemeinheit war Sieger geblieben und hatte einen liebenswürdigen jungen Mann als Opfer dahingerafft.
    Diese Nachricht machte auf Julians müde Seele einen sonderbaren, krankhaften Eindruck.
    »Der arme Croisenois«, sagte er zu Mathilde, »hat sich dir und mir gegenüber sehr ritterlich und sehr verständig benommen. Unvorsichtig, wie du warst, hätte er mich hassen müssen.«
    Von neuem machte sie ihm Vorwürfe der Eifersucht.
    »Du ziehst mir die Frau vor, die an all unserm Unglück schuld ist!« klagte sie.
    »Du bist ungerecht«, entgegnete ihr Julian. »Der Pariser Rechtsanwalt, der meine Berufung führt, wird Frau von Rênals Besuche unter den schönsten Phrasen schildern. Der Mörder wird von seinem Opfer gehegt und gepflegt. Das muß doch Eindruck machen. Vielleicht siehst du mich noch eines Tages als Held in einem Melodrama...«
    Mathilde verfiel in dumpfe Niedergeschlagenheit vor Schmerz und Scham, daß sie ihren treulosen Geliebten mehr denn je liebte. Ihre rasende Eifersucht sann vergeblich auf Rache. Sie ersah kein Ende ihres Unglücks. Wie sollte sie Julians Herz wiedergewinnen, selbst wenn er gerettet würde?
    Außer in den Augenblicken, da ihn Mathildens Gegenwart ablenkte, lebte Julian gänzlich seiner Liebe. Jede große und ungeheuchelte Leidenschaft hat seltsame Wirkungen. So kam es, daß Frau von Rênal die Sorglosigkeit und friedsame Heiterkeit ihres Geliebten allmählich teilte.
    »Weißt du«, sagte Julian zu ihr, »damals auf unsern gemeinsamen Spaziergängen in den Wäldern von Vergy, da hätte ich so glücklich sein müssen wie jetzt. Aber ein ungestümer Ehrgeiz entführte meine Seele gewaltsam in ein Traumland. Statt deinen holden Leib, der meinen Lippen so nahe war, an mein Herz zu drücken, ließ ich mir die Gegenwart
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