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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot
Autoren: Emily Arsenault
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fast jeden Abend gemacht hat.
    Später fragte ich ihn, was los gewesen sei und warum ich nicht raus sollte. Und ich ließ mir von ihm weismachen, dass irgendwas für Weihnachten in seinem Truck war, etwas, was ich nicht sehen sollte. Etwas für Weihnachten in seinem Truck? Kannst du das glauben, Nora? Kannst du glauben, was für ein Holzkopf ich damals war? Aber zu Weihnachten bekam ich tatsächlich ein neues Crossrad. Ein neues gebrauchtes Crossrad. Also hätte es doch so gewesen sein können, nicht? Es wäre doch immerhin möglich gewesen, dass es stimmte.«
    Toby sah mich an.
    »Ja«, versicherte ich ihm mit erstickter Stimme. »Es wäre möglich gewesen. Und du warst erst elf!«
    »Ich war so dämlich, dass ich es tatsächlich glaubte. Dabei wusste ich im Grunde, dass etwas nicht stimmte, aber das habe ich einfach verdrängt. Und dann, als ich sechzehn war, fand ich den Rucksack mit dem Collegeblock. Aber trotz allem war das eben bloß ein Block. Es machte mir Angst, war aber nicht genug, um irgendjemanden zu verurteilen. Wieder legte ich mir eine vernünftige Erklärung zurecht. Sie hatte ihren Kram bei uns liegen gelassen, na und? Schließlich hatte sie sich ein paarmal spätabends reingeschlichen und meinen Bruder besucht. Das konnte doch sein. Und das, was sie geschrieben hatte ... Ich schickte einiges von dem Zeug an Brian, anderes steckte ich in Charlottes Zeitungskasten. Und keiner tat irgendwas. Es passierte nichts. Also fing ich an zu denken, dass es bescheuert von mir gewesen war, Angst zu haben. Wen scherte das alles schon? Offenbar niemanden. Vielleicht spielte sich ja auch alles nur in meinem Kopf ab.
    Dann aber – kurz bevor er starb – erzählte mein Vater mir die ganze Geschichte. Machte einfach zwei Tage vor seinem Tod den Mund auf – zwischen zwei Morphium umnebelten Trancephasen. Er musste sein Gewissen erleichtern, bevor er starb. An jenem Abend war er im Dunkeln von der Happy Hour nach Hause gekommen; und da war sie gewesen – er hat sie überfahren. Sie war auf der Stelle tot, und er geriet in Panik.«
    »Warum hat er nicht die Polizei gerufen? Oder einen Rettungswagen?«
    »Wie gesagt, er hatte Panik, schätze ich. Warum hat er sie nicht dort gelassen? Warum ist er nicht die letzten paar Meter nach Hause gefahren, hat den Rettungsdienst gerufen undist wieder zurück? Das habe ich mich unzählige Male gefragt. Zu der Zeit hat er getrunken, damals, nachdem seine Mom gestorben war. Er nutzte die Happy Hour weidlich. Ich vermute, dass er an dem Abend einiges intus hatte und nicht klar denken konnte. Vielleicht wusste er einfach nicht, was er tun sollte. Vielleicht hat er geglaubt, er würde ins Gefängnis kommen, und dann wäre keiner da gewesen, der sich um uns gekümmert hätte. Wir waren ja sowieso schon keine beliebten Kinder: Wir wohnten bei der Müllkippe, rochen komisch und hatten keine Mutter ... Vielleicht dachte er, das würde das Fass endgültig zum Überlaufen bringen, wenn wir auch noch die Jungen wären, deren Dad dieses hübsche blonde Mädchen umgebracht hatte. Was auch immer er gedacht haben mag, er verwischte sämtliche Spuren, und nach einigen Stunden wäre es zu spät gewesen, selbst wenn er es sich anders überlegt hätte. Er konnte nicht mehr zurück. Ich weiß nicht, ob ihm all das durch den Kopf ging, als er sie in seinen Truck legte und mit ihr das kurze Stück von der Kurve zu unserem Haus fuhr, aber das war es, was er getan hat. Wahrscheinlich hat er nichts von alldem gedacht. Wahrscheinlich stand er einfach unter Schock, weil er sie überfahren hatte. Er war um die Kurve gekommen und direkt in einen saublöden Teenager hineingekracht, der mit geschlossenen Augen auf der Straße hockte. Nicht zu vergessen, dass er ein bisschen beduselt war vom Bier. Was er getan hat, war irrsinnig blöd. Ich denke, seine erste Idee war, sie zu retten. Deshalb hat er mich ja angeschrien, ich solle deine Mom rufen. Er war daran gewöhnt, sie zu rufen, wenn es Schwierigkeiten mit seiner Mutter gab. Aber dann hat er begriffen, dass Rose ja schon tot war. Sie war sofort tot gewesen.«
    Beim Reden blickte Toby zu den Bäumen und vermied es,mich anzusehen. Ich blieb vollkommen still, hielt sogar die Luft an.
    »Vielleicht hatte sie gehofft, dass mein Bruder sie sieht, wenn er nach Hause kommt. Dass er sie sieht, alles kapiert und Mitleid mit ihr hat. Dass er sie fragt, was zum Geier mit ihr los ist. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sie damit gerechnet hat, dass sie von meinem Dad
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