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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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Mann, dass sie jetzt erst draufkam! Sie überlegte, was schon alles hätte passieren können und ob sie Herrn Herzog nicht vorsichtshalber bei der Polizei anzeigen sollte.
    Herr Herzog packte seine Anfängernoten aus und setzte sich erst auf die Klavierbank, als Marie ihn ausdrücklich dazu aufforderte.
    »Wie sind Sie denn vorangekommen?«, fragte sie, einen voll eingerichteten Sado-Maso-Keller vor sich sehend, der darauf wartete, in knapp drei Stunden wieder von Herrn Herzog in Betrieb genommen zu werden.
    »Oh, sehr gut, an manchen Stellen hapert es noch, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden.«
    »Na, dann lassen Sie mal hören. Was war denn eigentlich dran?«
    »Die Etüde mit dem Kreuz und das Vierhändige.«
    »Ach, die Etüde in G-Dur meinen Sie. Dann sagen Sie mir doch gleich mal, was das für ein seltsames Kreuz ist.«
    »Hm … G-Dur sagen Sie. Ich meine: ein Gis.«
    »Und ich meine: ein Fis, wie letzte Woche besprochen. Aber egal, fangen Sie an.«
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    Oh, Gott, wie ist es möglich, dachte Marie, ein zweizeiliges, leichtes Stückchen derart zu verhunzen? Sie fühlte sich von Gott arg geprüft, da er ihr den einzigen talentfreien Perversling weit und breit in ihr schönes Haus schickte, ihn an ihrenSteinway setzte und ihn mit seinem Rasierwassergestank das Wohnzimmer verpesten ließ.
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    »Fis, dritter Finger bitte.«
    »Ah ja – war mein Fehler.«
    Ach was, dachte Marie.
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    »Dritter auf Fis bitte, nicht Gis. Es gibt kein Gis in diesem Stück. Nur Fis.«
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    »Fis, nicht Gis!«
    »Mensch, da komme ich immer durcheinander.«
    »Macht ja nichts, passiert mir auch laufend. Sie kriegen das schon hin, konzentrieren Sie sich.«
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    »Das war doch schon ganz prima. Ein paar klitzekleine Anmerkungen hätte ich da noch, nur ganz kleine. Also: Wir hatten ja bereits letzte Woche und in der Woche davor und … egal, jedenfalls besprochen, was diese Bögen über den Noten bedeuten. Das sind Bindebögen. Genau wie in den letzten drei Etüden, die wir bearbeitet haben. Nicht, dass sie lebenswichtig wären, aber sie tragen schon erheblich dazu bei, diese Noten zu einem Stück Musik werden zu lassen. Nehmen wir uns mal zwei Takte heraus. Die hier. Spielen Sie nur die, nur mit der rechten Hand, und versuchen Sie, die zu bindenden Töne aneinanderzukleben. Ich spiele es Ihnen kurz vor, ja?
    ---
    Gut. Jetzt Sie.«
    »Hm.«
    »Nein, nicht mit der Linken – da sind ja gar keine Bindebögen über den Noten. Mit der Rechten bitte. Nur die Melodie.«
    »Ach so.«
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    Marie hörte mit einem Viertelohr zu und stierte auf die Kontra-Oktave. Ob diese Psychotherapeutin sie nicht leiden konnte? Es wäre kein Wunder. Andererseits wusste Marie genau, wie empfindlich, geradezu zimperlich sie war und dass sie sich vieles nur einbildete.
    »Gut. Das waren fast perfekt gespielte Staccati, was auch nicht schlecht ist, aber heute wollen wir Töne binden. Noch mal die beiden Takte.«
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    »Nur die beiden Takte bitte, nicht immer gleich das ganze Stück. Und nicht staccato, sondern legato.«
    »Was?«
    »Legato, gebunden.«
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    »Ja, besser, sehr gut. Gleich noch mal.«
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    »Nein, nicht von vorn, nur die zwei Takte. Wenn Sie in drei Monaten die ›Pathétique‹ spielen, können Sie auch nicht immer das ganze Stück spielen, um zwei Takte zu üben. Stellen Sie sich mal vor, die beiden Takte sind auf der vorletzten Seite!«
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    »Rechts ist da, wo der Daumen links ist, Herrzog.«
    »Oh, Mann, irgendwie ist heute der Wurm drin. Entschuldigung, mein Fehler.«
    »Ja nun. Wir machen alle mal Fehler.« Marie ergriff ein körperliches Unwohlsein. Sie musste alle Kraft zusammennehmen, um Herrn Herzog nicht zu ohrfeigen.
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    »Na, sehen Sie, die waren so gut wie perfekt. Und jetzt das ganze Stück – von vorn bis hinten.«
    »Oh, Mann.«
    »Ja, das schaffen Sie. Bitte.«
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    »Toll, aber jetzt müssen Sie natürlich alle Töne binden, nicht nur die in den beiden Takten, die wir gerade geübt haben. Die Bindebögen sind ja überall. Es wimmelt nur so von Bindebögen in diesem Stück. Also alle binden, ja? Und los.«
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    Da es nicht nötig war, sich diesem zersetzenden Krampf mit voller Konzentration zu widmen, schweifte Marie wieder ab zu ihrer Therapiesitzung und fand: Es ist immer gut, wenn man Sachen abgeschlossen hat, wenn man mit etwas durch ist. Fertig. Erledigt. Ich habe es versucht. Kann ja nichts dafür, wenn die ihren Job nicht beherrscht und sich dann auch noch benimmt wie eine offene Hose. Frauen sollten doch nett
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