Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rosenberg, Joel - Hüter der Flamme 05

Titel: Rosenberg, Joel - Hüter der Flamme 05
Autoren: Das Vermächtnis des Kriegers
Vom Netzwerk:
magischem Wege entdeckt zu werden; in Biemestren brauchte er sich nicht zu verstecken, und wenn jemand ihm hier ans Leder wollte, würde er sich mit der Palastwache auseinandersetzen müssen. Es war also nicht die Zauberkraft des Amuletts, die ihn beruhigte, sondern die Berührung eines ihm
    seit frühester Jugend vertrauten Gegenstands. Das Lederband und der Kristall hatten sich nicht verändert.
    *Man wartet auf dich. Beeil dich.*
    Einen Moment.
    Er griff nach dem frischen, weichen Baumwollhemd, das Elarrah noch spät in der Nacht für ihn auf der Kommode bereitgelegt hatte, zog es über den Kopf und tappte barfuß über den Teppich zu seinen Stiefeln neben der Tür. Nachdenklich musterte er die in verschiedener Höhe angebrachten Kerben in dem altersdunklen Eichenholz des Türpfostens, von den sechs dicht beieinanderliegenden Einschnitten ungefähr in Brusthöhe bis zu der einzelnen Kerbe unmittelbar vor seinen Augen und den zwei dicht übereinander angebrachten ein Stück weiter oben.
    Er drehte sich um, schob die Fersen so dicht wie möglich an den Türpfosten und legte die flache Hand auf den Kopf, bis die Fingerspitzen das Holz berührten. Dann trat er einen Schritt zurück und stellte fest, daß seine Finger tatsächlich gut anderthalb Zentimeter über der letzten Markierung den Rahmen berührten.
    Er zog das Messer aus dem Gürtel und ritzte eine neue Kerbe in das Holz.
    Jason mit siebzehn, wenn auch nur knapp. Er richtete sich noch etwas straffer auf.
    "Vielleicht ist es dir sogar vergönnt, achtzehn zu werden. Jetzt solltest du dich aber in Bewegung setzen: Man wartet mit dem Frühstück auf dich, und in einer Stunde erwartet Tennetty dich zum Training.*
    »Training? Heute?« Er setzte sich hin und zog die Stiefel an. In wenigen Tagen wollte er nach Heim und Endell aufbrechen; wenn er jetzt nicht gut genug mit Pistole und Schwert umgehen konnte, dann ließ sich auch in der kurzen Zeit bis zu seiner Abreise nichts mehr daran ändern.
    *Unfug. Du wächst jeden Tag ein bißchen, Jason. Du solltest auch jeden Tag ein bißchen lernen.*
    Das stimmte schon. Sein Vater war ein weit besserer Schwertkämpfer gewesen ...
    *und ... auch er war eines Tages nicht gut genug. Denk daran. Du mußt lernen, Probleme durch Nachdenken zu lösen, nicht immer lassen sich Schwierigkeiten mit der Waffe aus dem Weg räumen. Selbst Karl mußte das einsehen, und du kannst ihm vorläufig noch nicht das Wasser reichen.*
    Auch das stimmte.
    Er ging die Treppe hinunter.
    Früher war das Frühstück in der Burg in der Art eines wilden Wettkampfs verlaufen, trotz Mutters Behauptung, das Frühstück sei die wichtigste Mahlzeit des Tages und U'lens Beharren darauf, daß er sich hinsetzte und eine ordentliche Mahlzeit verzehrte, statt sich hastig ein paar belegte Brote in den Mund zu stopfen. U'len neigte dazu - so drückte Vater es aus -, jeder von Mutters Äußerungen solches Gewicht beizumessen, als käme sie aus dem brennenden Dornbusch.
    Was immer das bedeuten sollte. Wieder eine Frage, die er seinem Vater nie mehr würde stellen können.
    Doch es war nicht mehr wie früher. Zu viel hatte sich verändert, seit Jason mit der Nachricht von Karl Cullinanes Tod nach Biemestren zurückgekehrt war. Mutter und Bren Adahan hatten in der Zwischenzeit
    versucht, eine Mauer aus starrem Zeremoniell und Regeln aufzubauen, als ließe sich dahinter verbergen, daß der Dreh- und Angelpunkt aus ihrer aller Leben verschwunden war.
    Tot.
    Die Gespräche im Speisesaal verstummten bei Jasons Eintritt. Mit einer knappen Verbeugung grüßte er die annähernd zwei Dutzend Leute, die zum Frühstück zusammengekommen waren, bevor er sich mit schnellen Schritten zum Kopf der Tafel begab und auf seinem Stuhl Platz nahm, als wäre es selbstverständlich.
    »Bitte setzt euch doch«, meinte er. Mutter war immer noch nicht heruntergekommen, doch man konnte ebensogut im Sitzen auf sie warten.
    Doria Perlstein hatte seine Aufforderung nicht erst abgewartet; sie kümmerte sich nicht um die Etikette. Von ihrem Platz weiter unten am Tisch lächelte sie ihm ein Guten Morgen zu.
    Er erwiderte das Lächeln. Eine merkwürdige Frau. Er wußte, sie war so alt wie Vater und Mutter, doch als sie die Persönlichkeit einer Priesterin der Heilenden Hand abwarf und ihr ursprüngliches Ich wieder die Oberhand gewann, verschwanden auch die Spuren der Jahre, aber nur von ihrem Körper, ihre Augen blieben davon ausgenommen. Es waren nicht die Augen eines etwa zwanzigjährigen Mädchens.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher