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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Autoren: David Kirk
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erreicht.
    Die frisch berufenen Berater des jungen Fürsten hatten im Frühjahr einen Waffenstillstand angeboten. Shinmen hatte sich zum Schein auf die lächerlichen Bedingungen eingelassen – von einer Rückgabe des geraubten Landes war keine Rede gewesen –, nur um dann vor zwei Tagen, als der Sommer begann, einen Blitzangriff zu befehlen. Seine kleine Streitmacht hatte Kannos Wachtürme und Vorposten so schnell überrannt, dass dessen Heer kaum Zeit geblieben war, sich hier, im eigenen Herzland, zu sammeln.
    Wäre Shinmen am Vortag nicht durch den Regen gebremst worden, so hätten Kannos Männer es nicht mehr geschafft. Doch die wenigen Stunden hatten Ueno genügt, sein Heer rings um die Burg in Schanzen in Stellung zu bringen, was Shinmens Männern einen erbitterten Kampf bergauf abverlangte. So hatte eine Laune des Wetters Hunderte das Leben gekostet.
    Doch was waren Siege ohne Verluste? Blütenpracht ohne Duft, weiter nichts.
    Munisai ließ sich inmitten dieser Blumen nieder. Er hielt die Hand eines Samurai, der seinen letzten Atemzug tat. Eine Lanze hatte ihn aufgespießt, war am Schlüsselbein ein- und an der Hüfte wieder hinausgedrungen. Dennoch hatte der Mann irgendwie bis jetzt überlebt, den hölzernen Lanzenschaft im Leib. Er wimmerte und wand sich. Kurz sah er Munisai mit verzweifeltem, flehendem Blick in die Augen.
    «Es ist bald vorbei», sagte Munisai. «Du hast dich tapfer geschlagen. Wir haben gesiegt.»
    Hier, wo die Heiler ihrem Handwerk nachgingen, lagen viele übel zugerichtete Krieger, umgeben von einem weißen Palisadenring fünfzig Schritte im Durchmesser. Die Luft war erfüllt von ihrem Stöhnen und dem Geruch der reinigenden Kräuter, die man verbrannte, während die Heiler von Mann zu Mann eilten und taten, was sie konnten. Unversehrte Männer knieten oder standen dabei, während ihre Kameraden starben, der Schmutz auf ihren Gesichtern von Tränenspuren durchzogen.
    Munisai hatte so etwas schon sehr oft erlebt. Es erschien ihm merkwürdig, dass es auf dem Stück Land, das man den Heilern zuwies, nach einem Sieg immer schlimmer aussah und hektischer zuging als nach einer Niederlage. Wenn man geschlagen von einem Schlachtfeld abzog, ließ man die Gefallenen darauf zurück. Eine Niederlage zog Schweigen und Kontemplation nach sich, ein Sieg nur Qualen und Verzweiflung und Hände voll Gedärm.
    Diese Blütenpracht hier duftet, sagte er sich. Der Mann, dessen Hand er hielt, trug das Seinige dazu bei.
    Munisai war in einer seltsamen Stimmung. Irgendetwas war anders als sonst. Er empfand nach einem Sieg zwar kaum länger als wenige Sekunden berauschende Freude, doch nie hatten ihn dabei solche Zweifel geplagt wie jetzt.
    Er hob den Blick und sah den Rauch aus Kannos Burg über den Abendhimmel ziehen. Erinnerungen wurden wach. Er sah sein Heimatdorf in Flammen, die Nacht orangerot erhellt, und am nächsten Morgen die fetten, dunklen Rauchschwaden, die in den Tälern hingen, er roch noch den Leichenhausgestank.
    Doch das war es nicht allein. Er hatte auch früher schon Brände auf dem Schlachtfeld gesehen und erinnerte sich an jenen schrecklichen Tag öfter, als er sich eingestehen mochte.
    Der Blick des jungen Fürst Kanno. Entschlossen und unschuldig. Das war es, was ihn nicht losließ, denn im Blick dieser Augen sah er einen anderen Jungen – den er zurückgelassen hatte und zu vergessen versuchte. Einen Jungen, der ihm, ohne dass er etwas dafürkonnte, das Leben vergällte.
    Er fragte sich, wie das zu den Augen gehörige Gesicht inzwischen wohl aussah. Es war viele Jahre her, dass er es zuletzt gesehen hatte. Kinder, ob Junge oder Mädchen, waren feminin; das Erbe des Vaters zeigte sich erst, wenn sie zum Jugendlichen reiften. Hass kochte in ihm hoch bei dem Gedanken, Hass sowohl auf das Gesicht, das er sich vorstellte, wie auf sich selbst.
    «Bennosuke», murmelte Munisai.
    «Er heißt Aoki», sagte der Heiler und wies auf den aufgespießten Mann. «
Hieß
Aoki.»
    Munisai hörte ihn kaum.
    Er ließ Aokis Hand los, sank auf beide Knie und verneigte sich respektvoll vor dem Toten. Ringsumher bebten die zusehenden Männer vor Stolz, als sie ihren Heerführer bei einer so demütigen Geste sahen.
    Als er sich wieder erhob, merkte er, dass oben auf dem Hang bei der brennenden Burg mit viel Pomp und wehenden Bannern eine große Sänfte angekommen war. Ihre burgunderrote Farbe schimmerte wie Pfauengefieder. Empört musterte Munisai sie. Dutzende Männer hatten diese Sänfte geschleppt –
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